Was passiert eigentlich gerade in der Welt – erleben wir nach der industriellen Revolution jetzt die ersten Jahre einer digitalen Revolution, und was bedeutet das für die Unternehmen und die Menschen?

Basierend auf den Überlegungen von Kjell A. Nordström (http://kjellnordstrom.eu) und seinem neuen Buch „Urban Express“ ein paar untypische Überlegungen zur aktuellen Entwicklung …

Ein Satz zur industriellen Revolution: Das Handwerk wurde abgeschafft, industrielle Prozesse ermöglichen es uns, in Massen Güter in noch nie gekannter Effizienz zu produzieren und der Mensch wurde ein Teil dieser Prozesskette – austauschbar und entbehrlich.

Die nächste große Veränderung erfolgte durch Lean Management: durchgängige Standardisierung und Optimierung von Prozessen in allen Branchen. Bis dahin ungeahnte Qualitäts- und Produktivitätsstandards wurden erreicht. Immer mehr Menschen arbeiten gleichzeitig in den Prozessen und an der Verbesserungen der Prozesse, was schon deutlich menschlicher ist.

Jetzt startet mit der Digitalisierung alles expliziten Wissens eine neue Revolution – so behauptet Kjell Nordström mit überzeugenden Argumenten.

Ist Wissen heute noch „Macht“? Was bedeutet die Ressource „Wissen“ für ein Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung und des Internets – alles oder nichts … oder sowohl als auch?

Wissen und Informationen galten als die wichtigsten Ressourcen für ein Unternehmen – wichtiger noch als Kapital, Anlagen und Mitarbeiter. Für meinen Vater Klaus Kuhn, der unser Familienunternehmen 1960 gründete, gab es nichts Spannenderes als der Besuch bei einer anderen Schleudergießerei. Das Wissen um die beste Technik, die cleversten Details und die Feinheiten beim Guss der herausfordernden Edelstähle war entscheidend für den Erfolg. Wissen war schwer verfügbar, musste geschützt werden und wurde geheimgehalten. Fachbücher waren schwer erhältlich und wurden wie ein Schatz gehütet (wobei an ihre Qualität der Aufbereitung heute kaum eine Website heranreicht).

Doch „alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert – und irgendwann kopiert“ (so Prof. Nordström). Im Internet kann nahezu alles gefunden werden werden – legal oder illegal. Tesla gibt seine Patente frei und veröffentlich diese selbst. Die Anzahl der im Netz verfügbaren Informationen wächst exponentiell. Der Schlüssel ist der Zugang und das Herstellen von Zusammenhängen, was jeder versteht, der schon einmal gezielt im Internet recherchiert hat. Ist es also ein Zufall, dass das Unternehmen (Google) mit der besten und am weitesten verbreiteten Technologie hierfür heute als das wertvollste der Welt gehandelt wird?

Niedergeschriebenes, explizites Wissen ist weiterhin eine notwendige und wichtige Ressource für jedes Unternehmen – absolut notwendig, aber nicht mehr ausreichend für den Erfolg. Neu für uns ist, dass diese Art von Wissen immer öfter frei im Netz verfügbar ist – und damit „kostenlos“. Auf Basis dieses Wissens lassen sich keine Wettbewerbsvorteile aufbauen, denn es kann ungehindert rezipiert werden.

Es gibt jedoch auch eine andere Art von Wissen, die nicht digitalisiert und kopiert werden kann. „Tacid knowledge“ nennt es Kjell Nordström, praktisches Wissen der Volksmund. Es ist das implizite Wissen, das „Know-how“ eines Meisters, die Handwerkskunst eines Könners oder die Fähigkeit eines Künstlers. Es ist das „Bauchgefühl“ des Unternehmers, mit dem er Entscheidungen trifft, oder das Gespür für den Markt und erfolgreiche Innovationen eines Gründers wie Steve Jobs.
Es kann nicht durch Wort und Schrift übertragen werden, sondern nur durch Erfahrung erlangt und – falls überhaupt – persönlich weitergegeben werden. Eine Anmerkung am Rande: Interessanterweise ist es in Deutschland seit Jahrzehnten gut geübte und weltweit bewunderte Praxis, dieses Wissen in der praktischen Ausbildung in Betrieben neben den theoretischen Schulinhalten an junge Menschen weiterzugeben.

Hier liegt der Schlüssel zur Einmaligkeit und nicht einfach kopierbaren Wettbewerbsvorteilen in den Zeiten des Internets: aus Kundensicht erfolgsentscheidende Merkmale auf der Basis von implizitem Wissen, was so gut wie nicht digitalisiert und kopiert werden kann.

Das Schöne hieran ist: Diese Art von Wissen und Können ist an den individuellen Menschen und seine Talente gebunden. Der Mensch steht damit wieder voll im Mittelpunkt und die Organisationen, die sich hierauf einstellen, werden erfolgreich sein.

Nach zwei Jahrhunderten, in denen zunächst Maschinen, Kapital sowie zuletzt Wissen und Informationen die wichtigsten Ressourcen für den Unternehmenserfolg waren, kann es sein, dass jetzt der Mensch, das Individuum an sich, mit seinen einzigartigen Talenten der Schlüssel für unnachahmliche Wettbewerbsvorteile und damit für den Erfolg sein werden. Die Folgen hiervon inklusive der kommenden Verwerfungen sind noch gar nicht absehbar – aber das Grundprinzip erscheint wunderbar und gibt Hoffnung auf eine noch menschlichere Welt.