Die Taiwan-Frage

Betrifft uns die Taiwan-Frage als deutscher Staatsbürger und als mittelständisches Familienunternehmen in Deutschland? Viel mehr als vermutet…

Der Konflikt um die Unabhängigkeit Taiwans (ein Schlüsselwort, welches sofort in weiten Teilen der Welt die Emotionen weckt und auf das vermutlich zahlreiche Internet-Bots geschult sind) ist eines der zentralen politischen Themen dieses Jahrhunderts. Eine wiedererstarkte Volksrepublik (VR) China unter dem zentralen Machthaber Xi Jinping scheint keine größeren Ambitionen zu haben, als Taiwan wieder „in das Reich der Mitte“ zu holen. Nur die Streitmächte der USA in Verbindung mit drohenden weltweiten Sanktionen hindern sie zurzeit noch daran – sofern man dem aktuellen Artikel aus der Ausgabe vom 20. Feb 2021 des „Economist“ glauben mag („How to kill a democracy“). Auf der anderen Seite der „South China Sea“ wird auch Taiwan wirtschaftlich immer erfolgreicher, man denke nur an die aktuellen Lieferengpässe in der Chipversorgung. Deshalb bat im Januar 2021 unser Wirtschaftsminister Altemeier persönlich bei der Taiwanesischen Regierung – streng „unter dem chinesischen Radar“ – um bevorzugte Belieferung der deutschen Automobilhersteller. All dies führt in Taiwan zu wachsendem Nationalismus und einem Selbstbewusstsein, welches in einem zunehmenden Hass gegen die Volksrepublik China als zentralen Unterdrücker seinen Ausdruck im täglichen Leben findet.

Deutschland versucht sich galant diplomatisch aus der Schusslinie zu halten, während die Abhängigkeit der deutschen Industrie – an vorderster Front unserer Automobilhersteller und IT-Branche – von der Volksrepublik China immer weiterwächst.

Als mittelständischer Hersteller von Anlagen- und Motorenkomponenten haben wir in den letzten Monaten hier unsere eigenen Erfahrungen gemacht. So war es überhaupt kein Problem, die Ausfuhrgenehmigung für größere Aufträge für Zylinderlaufbuchsen an die VR China zu erhalten, die unter anderem in Motoren eingesetzt werden, welche für Schiffe der chinesischen Küstenwache bestimmt sind. Genau diese Küstenwache, die im südchinesischen Meer äußerst aggressiv den Hoheitsbereich der VR China ausweitet und verteidigt.

Auf der anderen Seite ist inoffiziell bekannt geworden, dass die deutsche Bundesregierung die Ausfuhrgenehmigung für die Lieferung von sechs U-Booten der Thyssen-Krupp Marine Systems ab dem Jahr 2025 an Taiwan verweigert hat. Für diese U-Boote waren wir vermutlich als Lieferant für einige wesentlichen Komponenten vorgesehen.

Vereinfacht gesagt – aus wirtschaftlichem Interesse hat Deutschland kein Problem, mit militärischen Gütern eine Diktatur in der VR China zu stützen, verweigert aber die Belieferung einer reinrassigen Demokratie in Taiwan mit Defensivwaffen.

Die offizielle Begründung lautet, dass man sich in die „Ein-China-Politik“ nicht einmischen werde. Es ist sicherlich richtig, sich nicht in innenpolitische Konflikte anderer Staaten einzumischen. Kann jedoch die Taiwanfrage als solcher Konflikt angesehen werden, wo es sich doch im Fall von Taiwan um eine faktisch völlig eigenständige Demokratie handelt?

Ein militärischer Konflikt zwischen China und Taiwan unter Beteiligung der USA hätte gravierendste globale Folgen, die uns als Exportnation besonders empfindlich treffen würden. Nicht nur, dass ein erheblicher Anteil unserer Export- und Importgeschäfte in und aus der VR China und kritischer Komponenten aus Taiwan hiervon direkt betroffen wären. China und Taiwan haben mittlerweile ganz erhebliche Anteile an zahlreichen, kritischen Lieferketten in allen Branchen der globalen Industrie. Die Disruption dieser Lieferketten würde uns in Deutschland auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite einen extremen Schock versetzen und eine nachhaltige Wirtschaftskrise auslösen. Im Vergleich hierzu könnten die Auswirkungen von Corona wie ein Sommergewitter erscheinen.

Darüber hinaus müssen wir uns in Deutschland die Frage stellen, ob wir nicht auch als Teil der Weltgemeinschaft eine Verantwortung dafür tragen, die Menschen in Taiwan vor der Bedrohung der Unterwerfung unter eine Diktatur der Volksrepublik China zu schützen. Die Menschen in Taiwan leben seit Jahrzehnten in Freiheit und Unabhängigkeit und unsere gemeinsamen demokratischen Grundwerte sind hier fest in der Gesellschaft etabliert. Kann uns das Schicksal dieser 20 Mio. Menschen wirklich egal sein – Menschen, die mit Sicherheit um ihre Freiheit und Unabhängigkeit erbittert kämpfen werden und nicht, wie zum Beispiel die Bevölkerung der Krim, sich einer Annexion fügen? 

Wir sollten uns in Deutschland mit Sicherheit in Zurückhaltung bei der Einmischung in die Angelegenheiten fremder Völker üben – angesichts unserer Vergangenheit steht es uns nicht zu, mit dem moralischen Zeigefinger in der Welt zu agieren. Es geht in der Taiwanfrage aber vielleicht um DEN zentralen Konflikt dieses Jahrhunderts. Auch wenn er weit weg erscheint sind die Auswirkungen für uns sowohl in wirtschaftlicher, kultureller wie auch moralischer Form massiv. Potenziell droht hier nicht zuletzt die Gefahr des dritten Weltkriegs, je nachdem wie stark der Folgekonflikt zwischen der VR China und den USA eskaliert.

Hinzu kommt, dass Deutschland in ganz Asien immer noch ein extrem hohes Ansehen und eine Vorbildfunktion besitzt. Jeder, der deutsche Güter hierhin exportiert kann dies immer noch persönlich erleben, so wie ich es selbst in zahlreichen Gesprächen erfahren durfte. „Made in Germany“ steht nicht nur immer noch für erstklassige Qualität, sondern auch für einen besonders verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und eine sehr hohe Glaubwürdigkeit. Wir genießen hier von allen Seiten ein hohes Vertrauen, welches wir geschickt zur Einflussnahme, Deeskalation und Vermittlung in Richtung friedlicher Perspektiven nutzen könnten! Dafür dürfen wir uns jedoch weder von den massiven Drohungen der VR China in Bezug auf wirtschaftliche Konsequenzen, noch durch die Vereinnahmung China-feindlicher Interessen anderer asiatischen Länder leiten lassen.

Daher plädiere ich in diesem Artikel dafür, dass wir uns aus unserer Verantwortung, sowie aus den uns gegebenen Möglichkeiten, als Deutsche nicht mehr so passiv wie bisher in der Taiwan-Frage verhalten. Wir können hier wesentlich stärker eine Vermittlerrolle einnehmen, auch wenn dies die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der VR China belasten wird. Wir sollten nicht unsere Seele verkaufen…