Kapitalismus vs. Werte?

Viele schöne Erlebnisse aus dem Jahr 2014 werden mir lange in Erinnerung bleiben. Einen besonders ergriffenen Moment hatte ich im April 2014 in einer größeren Feedbackrunde eines Workshops unter unseren Führungskräften. Ein sehr stiller, technisch orientierter Mitarbeiter mit großem Potenzial, der sich nur sehr selten öffnet, sagte abschließend sinngemäß: „Ich empfinde es als besonderes Privileg, in unserer Firma arbeiten zu dürfen und so eine Zusammenarbeit zu erleben. Es erfüllt mich mit großer Freude und Stolz.“ Es war gut, dass ich nichts mehr sagen musste, denn mir blieb für eine ganze Zeit die Stimme danach weg …

Es sind Momente wie diese, die beweisen, dass sich unsere Werteorientierung lohnt und ich bin sehr froh, diese als Unternehmer fördern zu dürfen. „Werte muss man sich leisten können“… Ich weiß nicht mehr, wer diesen Satz geprägt hat, aber in der heutigen Zeit scheint er immer besser zu passen.

Ich bin ein großer Freund des Kapitalismus, denn dieses System hat mehr Menschen als je zuvor in der Weltgeschichte aus der Armut herausgeführt und zu besseren Lebensverhältnissen verholfen. Dies wird aus unserer deutschen Sicht meiner Meinung nach oft verkannt. Dennoch ist der Kapitalismus um die Idee des Zinses und Zinseszinses herum entstanden. Jeder Mathematikschüler lernt, dass es sich dabei um Exponentialfunktionen handelt – und damit das Wachstum nie ewig währen kann (weil es gegen unendlich strebt).

Ganz praktisch betrachtet bedeutet dies für einen Unternehmer, dass Ausgaben besonders für Löhne und Gehälter (in letzter Zeit auch Energie) tendenziell exponentiell wachsen, während Preise in stagnierenden globalisierten Märkten unter dem Wettbewerbsdruck bestenfalls gleich bleiben oder sinken müssen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, in Innovationen zu investieren und (in letzter Zeit gesunkene) Zinsen auf das eingesetzte Kapital zu zahlen.

Diese aufgehende Schere erzeugt einen ganz enormen Druck auf jedes Unternehmen. Es geht ums Überleben und nach Möglichkeit um das Wachstum im weltweiten Markt unter dem Druck bestehender und neuer Wettbewerber, steigender Kosten und sinkender Preise. Auch wenn die Wirtschaftspresse gerne über herausragende, wachsende Erfolgsunternehmen berichtet, ist klar, dass in einem Auswahlprozess nur ein Bruchteil aller Marktteilnehmer überleben können. Gute Zahlen und kurzfristige Ergebnisse sind in vielen Unternehmen kein „nice to have“, sondern brutale Notwendigkeit, und angestellte Manager – besonders in Kapitalgesellschaften – bekommen schnell die Türe gezeigt, wenn die Unternehmensperformance einbricht.

Doch Werte sind kein Gegensatz zum Kapitalismus! Ich wage zu behaupten, dass es sich hier nur um zwei Seiten der gleichen Medaille handelt. Jedes Unternehmen muss positive Zahlen schreiben und finanzielle Ergebnisse bringen. Liquidität ist wie die Luft zum Atmen, man hält nicht lange ohne sie durch. Gewinne sind wie die tägliche Nahrung – es geht eine kurze Zeit auch einmal ohne, aber nicht lange … Doch leben wir, um zu atmen und um uns zu ernähren?

Werte sichern die langfristige Zukunft eines Unternehmens. Sie sind das, was die Zusammenarbeit lebenswert macht und dem eigenen Schaffen einen Sinn vermittelt. Werte sind in der Menschheitsgeschichte schon vor Tausenden von Jahren entstanden, um uns als Gemeinschaft erfolgreicher zu machen.

Das gilt natürlich auch für Unternehmen. Es wäre töricht, diese unglaublich wichtige Lektion in der Geschichte unserer Menschheit zu vergessen, weil wir jetzt in Unternehmen arbeiten.

„Wer zu viel über Werte redet, macht sich verdächtig, dass er es auch nötig hat“, so lautete der Kommentar eines sehr weisen Unternehmensberaters von Vollmer & Scheffczyk (http://www.v-und-s.de), der unser Unternehmen mit seinen Kollegen in diesem Herbst im Rahmen einer Potenzialanalyse ausführlich unter die Lupe genommen hat.

Doch die Berater stellten ebenso wie die vielen neuen Mitarbeiter, die jedes Jahr zu uns stoßen, schnell fest, dass wir unsere Werteorientierung in der Tat leben – so banal sich diese Aussage aus der Feder des Unternehmers auch anhören mag. In der Tat erübrigen sich die Worte, denn es ist viel besser und wirkungsvoller, unsere Firmenkultur zu erfahren.

Als Unternehmer kann ich dabei unsere Werte unmöglich vorgeben – ein weitverbreitetes Missverständnis. Werte sind implizit vorhanden, sie sind die „Summe aller Selbstverständlichkeiten“, und jeder Mitarbeiter trägt dazu bei. Werte entstehen aus der Erfahrung heraus und wachsen mit dem Unternehmen.

Haben Sie schon einmal versucht, jemanden anzuweisen, Ihnen zu vertrauen? Vertrauen ist ein wichtiger Wert in unserem Unternehmen, aber dieser kann immer nur aus der Erfahrung heraus entstehen, wenn man erlebt, dass sich vertrauen lohnt, dass Vertrauen nicht missbraucht und auch in schwierigen Situationen geachtet wird. So haben wir vor langer Zeit unsere Unternehmenswerte schriftlich fixiert, doch nur die Diskussion hierüber und die Erfahrungen in der Praxis sind ausschlaggebend. Werte sind in einem Unternehmen also immer vorhanden. Indem wir bewusst versuchen, sie zu beachten, positive Werte zu fördern und für die Zusammenarbeit ungünstige Werte zu sanktionieren, verbessern wir die Leistungsfähigkeit unseres Unternehmens – und machen es lebenswerter.

Ohne mit dem Finger auf andere Unternehmen zu zeigen und voller Verständnis für den Druck, unter dem viele Unternehmen und viele Menschen dort stehen, bin ich sehr dankbar, sagen zu können, dass wir es uns tatsächlich noch leisten können, auf Werte zu achten. Ich betrachte es als die wohl wichtigste Investition in unsere Unternehmenszukunft und finde es einfach wunderbar, dass wir eine Gemeinschaft in unserem Unternehmen aus unterschiedlichsten Religionen, Geschlechtern, Altern und Rassen sind, die diese Ansicht gemeinsam teilen.