Koreanische Impressionen

Zum wiederholten Mal hatte ich die Gelegenheit, das vielleicht höchstmöglich autarke industrialisierte Land der Welt zu besuchen: Südkorea. Ein Land, in dem die Industrie in Branchen wie der Elektronik und Automobiltechnik eine führende Stellung auf der Welt einnimmt, welches geprägt ist von seiner extrem schnellen Entwicklung und welches gleichzeitig für Ausländer immer noch nur sehr schwer zugänglich ist. Wenige Menschen sprechen Englisch, englische Beschriftungen sind – sogar im Gegensatz zu Ländern wie China, Taiwan oder Japan – eine Seltenheit, und sogar Taxifahrer oder Beamte an Ticketschaltern haben oft keinerlei englische Sprachkenntnis.

Kostenfreies, extrem schnelles Internet und 4G-Funktechnik sind in dem am stärksten vernetzten Land der Welt dagegen selbst in entlegensten Regionen verfügbar, und bei Geschäftsterminen gehört es zum guten Ton, dem Gast neben einem Wasser und einem Kaffee einen WiFi-Zugang anzubieten.

Mit dem Hochgeschwindigkeitszug KTX sind die großen Städte optimal im halbstündigen Takt verbunden, sodass es normal ist, noch einen Abendtermin in Daegu wahrzunehmen um danach die 350 km zur Hauptstadt Seoul im Zug in zwei Stunden zurückzufahren.

An der Hotelrezeption des günstigen Businesshotels kann man dagegen nicht erwarten, einen englischsprachigen Mitarbeiter zu finden – wenn man es überhaupt erst einmal geschafft hat, das Hotel aus der Masse der zwanziggeschossigen, gesichtslosen Wohnblöcke heraus anhand des kleinen Hinweisschilds an der Hausecke zu identifizieren. Einfache Hotelzimmer zeichnen sich dabei durch ein karges Design aus, dafür stehen an der Eingangstür für Europäer etwas zu klein geratene Filzpantoffeln bereit und auch hier funktioniert das WiFi-Internet tadellos.

Vor dem Geschäftstermin ist am Straßenrand dann noch einmal Zähneputzen angesagt, da das oft mit viel Knoblauch gut gewürzte, scharfe und schmackhafte Essen seine Spuren im Atem hinterlassen kann. Überhaupt sind gemeinsame Abendessen in der Geschäftswelt wichtig, um die Beziehungsebene auszubauen. Das Essen wird – für Europäer ungewohnt – traditionell auf dem Fußboden sitzend eingenommen, gerne begleitet von dem lokalen Bier, leichtem Kartoffelschnaps namens Sochu oder einem gegorenen Reiswein. Gegessen wird natürlich mit koreanischen Stäbchen, die aus Metall bestehen und noch eine Spur glatter als die dickeren Holz- oder Plastikstäbchen in China sind.

Je später der Abend, desto ausgeprägter kommt dann oft der starke Nationalstolz zum Vorschein. Korea hat sich durch sehr viel Ehrgeiz und harte Arbeit eine führende Position unter den Industriestaaten erobert und man ist zu Recht stolz darauf, dies erreicht zu haben. So finden sich auf den Straßen immer noch zu über 90% Autos koreanischer Hersteller (mehr einheimische Fahrzeuge als in jedem anderen Land der Erde). Vor einigen Jahren musste ich noch oft mit einer spitzen Bemerkung rechnen, wenn ich mein Sony-Notebook auspackte (weil ich kein Samsung-Produkt verwendete). Dies hat sich heute geändert, ausländische Produkte werden nicht mehr geächtet, sondern fast schon herablassend akzeptiert – schließlich weiß man, dass Samsung den Wettbewerb mit Abstand gewonnen hat, und kann jetzt auch ausländische Produkte überleben lassen. Auch wenn hier das iPhone wie überall auf der Welt bekannt und geschätzt ist, finden sich gefühlt unter den Mitreisenden nur ein iPhone Besitzer unter fünf Samsung-Nutzern.

Bei allen modernsten elektronischen Geräten hat man sich doch auch viele Traditionen bewahrt, und Hierarchien in Unternehmen wie auch das Senioritätsprinzip werden hoch geachtet. Im Mittelstand gilt, dass der Mittwochabend für die Familie erhalten bleibt, Donnerstagabend für die Kollegen und Freitagabend für die Freunde. Dementsprechend sind die Restaurants von Donnerstag bis Sonntag immer sehr gut besucht.

„Balli balli“ ist im Geschäftsleben eines der meistgebrauchten Wörter und steht für „schneller, schneller“. Koreaner sind extrem ungeduldig, Anfragen die samstags eingehen, müssen schonmal bis Montagmorgen beantwortet sein, und Anrufe auch um Mitternacht sind keine Seltenheit. Besonders ehrgeizige Manager rühmen sich gerne für ihren Einsatz. Auf die Frage, wie es denn seiner Familie gehe, antwortete ein Einkaufsmanager einmal stolz: „Ich weiß es nicht, ich habe sie seit sechs Wochen nicht mehr gesehen. Wenn ich nach Hause komme schlafen sie schon, wenn ich gehe, schlafen sie noch.“

Das angespannte Verhältnis zum Norden ist überhaupt kein Thema im Tagesgeschäft, und wenn in Deutschland die Medien einmal wieder über das Säbelrasseln auf der nordkoreanischen Seite berichten, habe ich den Eindruck, in Deutschland mehr als in Südkorea darüber zu lesen. Es erscheint fast, als ob niemand mehr im Süden die Nordkoreaner mehr ernst nimmt – es sind nicht nur zwei verschiedene Länder, sondern zwei verschiedene Epochen, die hier die Grenze teilt.

Gemeinsam mit dem Westen ist dagegen die sehr hohe Bedeutung der Familie, der Beziehungen zu Freunden und auch die Bedeutung der katholischen Kirche, die in Südkorea als mit Abstand stärkste Religion überall vertreten ist. Auch das Bild von Ordnung und Sauberkeit in der Öffentlichkeit entspricht dem in Deutschland und Japan gewohnten Standard und ist meilenweit von dem oft zu findenden Schmutz und Chaos in anderen asiatischen Ländern entfernt. Dabei ist es gelungen, eine Zersiedelung zu vermeiden, wodurch in weiteren Landstrichen viel Natur in Form von Wäldern, Farmland und Nationalparks erhalten blieb.

Nein, Südkorea lässt sich nicht einfach mit anderen Ländern vergleichen und nimmt eine echte Sonderstellung auf der Welt ein. Wäre das Land traditionell nicht so abgeschottet gegenüber dem Westen und hätte es mit Japan nicht eine so aus der Geschichte heraus belastete Beziehung – wir würden in Deutschland mit Sicherheit genauso viel von diesem Land hören und sehen wie von Japan und China. So kennen wir fast nur seine Produkte, seine Autos, Elektronik, den Stahl und die Schiffe aus diesem Land und wissen sehr wenig, was sich dahinter verbirgt. Doch Südkorea wird seinen Weg gehen und zählt heute in vielen Aspekten bereits zu den führenden Nationen der Welt. Faszinierend…