Nach Jahren der eher strategischen Tätigkeit in unserer Gruppe habe ich seit ein paar Monaten die Gelegenheit, in der zerspanenden Fertigung in Radevormwald wieder eine direkter gestaltende Funktion vor Ort einzunehmen. Eine Aufgabe, die mir sehr viel Freude bereitet und in der ich viele sinnvolle Erfahrungen (wieder) sammle. Besonders ist mir der Zusammenhang zwischen Shopfloor-Management und dem (nicht nur) wortwörtlichen Erfahren von sinnvoller Arbeit wieder bewusst geworden.
Sinnvolle Arbeit findet sich in vielen Aspekten und Bereichen eines Unternehmens. Es steckt viel Sinn in den Produkten, die wir für unsere Kunden herstellen. Die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens ist sinnvoll. Die Logik hinter den Prozessen und Abläufen ergibt einen Sinn. Die Gestaltung von Rahmenbedingungen ist eine sinnvolle Aufgabe. Aber die Tätigkeit vor Ort in der Fertigung, die unmittelbare Erfahrung, lässt sich auch wortwörtlichen mit den Sinnen erfahren.
Jeden Morgen freue ich mich auf die Stehung vor Ort, auf das Treffen mit den Führungskräften direkt in der Fertigung. Es beginnt mit dem Erfassen des Produktionsumfeldes mit allen Sinnen. Dass ich dies vermisst habe, ist mir erst nach den letzten Jahren der indirekten Arbeit aus dem Büro oder Homeoffice so richtig deutlich geworden. Schon beim Betreten der Produktion ruft die Luft Erinnerungen hervor – zurückgehend bis in die Zeit der Praktika, die ich im Teenageralter machen durfte. Da ist die Atmosphäre der Arbeit, des Schaffens, das Entstehen von etwas Besonderem aus Eisen, Stahl oder Edelstahl. Man hört den Span in der Maschine, riecht die Bestandteile der Kühlschmiermittel in der Luft, sieht wie die Zerspanung abläuft und erfährt ohne Zahlen, Diagramme oder Worte direkt, wie die Bearbeitung funktioniert. Man spürt, wenn das Material Probleme macht, Werkzeuge brechen oder die Maschine unter einer Überlast ächzt. Das ist das unmittelbare Erleben mit den Sinnen, das ist im Wortsinn bereits sinnvoll.
Die Shopfloor-Management Stehung ist aber auch eine sinnvolle Erfahrung in anderem Sinn. Zusammenarbeit mit Menschen ist immer sinnvoll. Wir konnten als Menschen in der Evolution nur durch Zusammenarbeit erfolgreich sein. Wie konnte sich unsere Gattung evolutionär behaupten und durchsetzen, obwohl wir körperlich in fast allen Belangen anderen Gattungen massiv unterlegen sind? Nur durch Zusammenarbeit und Kommunikation, als „soziales Tier“. In der persönlichen, direkten Absprache vor Ort ist dieser Sinn der gemeinsamen Arbeit unmittelbar zu erleben. Dies bestätigen mir Mitarbeiter auf allen Ebenen, besonders Menschen, die längere Zeit ohne Arbeit waren und die am schmerzlichsten die Zusammenarbeit vermisst haben – was teilweise noch wichtiger ist, als der Verdienst aus der Arbeit an sich.
Für mich persönlich ist es eine Freude direkt mit Führungskräften zu arbeiten, deren Kompetenz sich jeden Tag in der Praxis vor Ort bestätigt und deren Aussagen aus erster Hand stammen – ohne Interpretation, „Politik“ oder sonstige Gestaltung. Die fachliche Anerkennung mussten sich unsere Gruppenleiter hart erarbeiten, denn auch unsere Mitarbeitenden an den Maschinen sind hoch kompetent und vertrauen nur Menschen in der Führung, von denen sie lernen können und die eine Vorbildfunktion einnehmen.
Shopfloor-Management ist auch deshalb eine sinnvolle Tätigkeit, weil sich hier die Zusammenhänge in der gesamten Zusammenarbeit im Unternehmen erfahren lassen. Von der Gewinnung neuer Kunden, zur Auslieferung, Prüfung beim Kunden und letztendlich bis zum Zahlungseingang wird die gesamte Wertschöpfung durch das Shopfloor-Management begleitet. Hier fließen die Informationen vor- und nachgelagerter Stellen ein, ergeben ein sinnvolles Ganzes und ergänzen sich. Um den eigenen Anteil in der Wertschöpfungskette möglichst effektiv und effizient zu gestalten, sollen die Informationen hier zusammenfließen und weitergeben werden. Der Informationsfluss ist nie optimal, die stetige Verbesserung der Organisation daher eine weitere sinnvolle Arbeit.
Wenn das fertige Bauteil auf dem Shopfloor liegt, die letzten Kontrollen durchlaufen hat und fertig für den Versand ist, hinterlässt es bei mir einen weiteren sehr sinnvollen Eindruck. Aus Informationen, Kommunikation, Metallen und Schrott ist ein Bauteil entstanden. Dieses wird mit seinen Eigenschaften, seiner Präzision und seiner Komplexität den Anforderungen an den Einsatz in der Maschine, die der Kunde irgendwo auf der Welt damit baut, voll gerecht. Was hier bei uns entsteht, ist oft einmalig in der Welt. Intern ist uns das nur selten so bewusst – wir schimpfen beispielsweise über eine Verspätung bei einem komplett fertig bearbeiteten neuen Erstbauteil für einen amerikanischen Kunden und ich erkenne eigentlich erst am Ende, wenn es fertig vor mir liegt, wie besonders dies in den Anforderungen war. Unsere Fähigkeit, diese komplette Fertigung annähernd fehlerfrei unter einem Dach abzubilden, ist weltweit nahezu einmalig.
Alle unsere komplexen Bauteile erfahren nach ihrer Lieferung einen sinnvollen Einsatz in den Maschinen und Anlagen, für die sie gebaut wurden. Sie sind essenzielle Kernkomponenten, die Wasser reinigen, Werkstoffe aufbereiten, Öle trennen, in der Energieerzeugung an kritischen Stellen eingesetzt werden, in der Proteinherstellung benötigt werden oder Schokolade auf den gewünschten Feinheitsgrad bringen – um nur ein paar ausgewählte Beispiele der fast unendlich vielen Einsatzmöglichkeiten zu beschreiben.
Es ist immer etwas Anderes unsere Bauteile zu sehen, die Oberflächen zu fühlen, Rauheiten zu erspüren und die teilweise enormen Gewichte und Abmessungen zu erfahren, als nur Bilder und Zeichnungen zu vergleichen. Diese Eindrücke aus unserem Tagesgeschäft und meiner persönlichen Arbeit sind in ähnlicher Form in vielen Unternehmen in der Arbeit vor Ort zu finden. In der täglichen Routine verlieren wir mit der Zeit oft den Blick für diese vielen sinnvollen Aspekte. Ich bin dankbar dafür, ihn nach langer Zeit der indirekten Tätigkeiten wieder ein Stück weit zurück gewonnen zu haben.