Bürokratieabbau ist das Gebot der Stunde. Die wachsende Bürokratie in Deutschland und Europa bleibt eines der größten Wachstumshindernisse in der Wirtschaft. Kann man bei einer seit zwei Jahren schrumpfenden Wirtschaft überhaupt noch von „Wachstumshindernis“ sprechen oder sollte man es eher „Schrumpfungs-Beschleuniger“ nennen…?
Es gibt viele Maßnahmen unserer Regierung die Bürokratie abzubauen. Bestes Beispiel ist die Verabschiedung des Bürokratieentlastungsgesetzes im September 2024 (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw39-de-buerokratieentlastungsgesetz-1017656), in dem eine ganze Anzahl kleinerer Verbesserungen beschlossen wurde, die für eine spürbare Entlastung sorgen.
Im krassen Gegensatz dazu steht jedoch die von der EU beschlossene Taxonomie mit ihrer Forderung nach der Umsetzung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie ist die „Mutter aller bürokratischen Monster“. Dazu ein paar ganz konkrete Worte aus der Praxis.
Wir haben in den letzten Wochen den zweiten Nachhaltigkeitsbericht unserer Unternehmensgruppe veröffentlicht (Nachhaltigkeitsbericht 2023). Ein weiterer Schritt in Richtung transparenter Berichterstattung zu allen Maßnahmen, mit denen wir uns als energieintensives Industrieunternehmen in Deutschland in Richtung Klimaneutralität weiter entwickeln werden. Das ist sinnvoll und langfristig gedacht. Unsere Produkte haben einen enormen Nutzen in der Umwelttechnik und bei der Energieerzeugung aus konventionellen wie aus regenerativen Brennstoffen. Dennoch bleibt unsere Produktion energieintensiv – auch wenn wir der Meinung sind, effizienter und ressourcenschonender als jeder weltweite Wettbewerber in unserer Branche zu arbeiten. Daher stellen wir gegenüber der Gesellschaft gerne unsere Maßnahmen dar, mit denen wir unseren CO2-Abdruck immer weiter reduzieren, ohne dabei unsere Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.
Die von der EU geforderte Taxonomie mit der erzwungenen Nachhaltigkeitsberichterstattung nach ESG-Kriterien geht jedoch weit, weit, weit… über dieses Ziel hinaus. Sie führt zu einem bürokratischen Aufwand, der bei einer Unternehmensgruppe unserer Größenordnung mindestens eine zusätzliche Vollzeitstelle erfordert, um den Anforderungen gerecht zu werden. Auch wenn die ESG-Berichterstattung nicht gesetzlich gefordert ist, können wir uns dieser kaum entziehen, ohne unsere Kapitalmarktfähigkeit massiv einzuschränken. Mit anderen Worten: Banken – selbst oft recht hilflos angesichts der Forderungen, die auf sie zukommen – werden verpflichtet, ESG-Kriterien und die Auswertung von Nachhaltigkeitsberichten bei ihren Kreditentscheidungen in Zukunft zu berücksichtigen.
Was bedeutet das? Neben der an sich sinnvollen Transparenz über den CO2-Ausstoß unserer Produktion und zugekaufter Stoffe und Leistungen sowie unserer Maßnahmen zur CO2-Reduzierung, sind wir verpflichtet, auch über die Bereiche „Social“ und „Governance“ in aller Ausführlichkeit zu berichten. Die ersten Ansätze sehen Sie in unserem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht.
Wird sich durch dieses bürokratische Monster irgendetwas verändern? Natürlich nicht. Wird es zu neuen Erkenntnissen bei interessierten Parteien führen? Das darf stark bezweifelt werden.
„Tue Gutes und rede darüber“ heißt es. Doch muss wirklich jede Spende, soziale Maßnahme oder interne Organisationsveränderung in einem Bericht mit über 100 Seiten dokumentiert werden? Wer liest das überhaupt? Es dient doch nur dazu, einem Prüfer für eine Checkliste Material zum „Abhaken“ zu geben, damit sein „Urteil“ einmal in einer Note verdichtet als ein Kriterium für den zukünftigen Zinsaufschlag einfließt.
Wo waren unsere Politiker, als dieses Gesetz bereits vor Jahren auf EU-Ebene entschieden wurde? Jetzt ringt die Politik in Deutschland mit der Interpretation und der Umsetzung in nationales Recht. Vermeiden kann man diese Regelung kaum noch. Ist es angesichts solch abstrusen, bürokratischen Unsinns noch ein Wunder, dass die EU-Skepsis überall zunimmt?
Jeder Käufer eines Neuwagens wird seit Juli 2024 nach dem Losfahren durch Pieptöne „liebevoll“ an die unsinnige EU-Regelungswut erinnert, die jedes Auto mit einer „Verkehrszeichen-Erkennung“ und „Spurverlassenswarnung“ ausgestattet und so sein Auto um einen vierstelligen Betrag verteuert hat – ob er will oder nicht. Die EU-Taxonomie ist in der Gesellschaft wenig präsent (man muss sie als Verbraucher ja nicht beachten), aber für uns als mittelständisches Familienunternehmen teuer und ärgerlich – eine neue „Spitze des Eisbergs der bürokratischen Monster“, die wir wieder einmal bewältigen müssen.
Das Gute dabei? Die Berater-Branche boomt und Angebote zur „Unterstützung“ bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten auf Seite der Unternehmen ebenso wie bei der Auswertung der Berichte auf Seiten der Finanzpartner sprießen allerorts. Ist das dann etwa das Konjunkturprogramm, welches endlich das langersehnte Wachstum bringen wird?