Kurz vor der Europawahl sind in Deutschland viele Proteste gegen die zahlreichen Regeln der Europäischen Union zu hören. Ausufernde Bürokratie, lange Entscheidungswege, hohe Kosten… In Deutschland gibt es viele Ängste, auch in Bezug auf Europa. Der Blick auf den Wahlkampf ist dabei ernüchternd – lässt er doch inhaltliche Themen schmerzlich vermissen; die Wahlplakate zeigen so viele Banalitäten und Parolen wie selten zuvor.
Dennoch: die wenigen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die europäische Ebene – in diesem Jahr in Form der Europawahl – müssen wir nutzen! Denn wir brauchen Europa. In Deutschland und natürlich auch in der Wirtschaft. Die Themen, die von der EU und von Europa beeinflusst werden, sind so umfangreich wie nie, betreffen uns alle und sind entscheidend für unsere Zukunft, den Erhalt unserer Wirtschaft und unseres Wohlstands.
Ja, die Bürokratie nimmt überhand. Das Lieferkettengesetz konnte gerade noch abgewendet werden, aber mit dem Energiekosten-Kompensationsgesetz, der hierfür nachzuweisenden „grünen Konditionalität“ und besonders den Finanzierungsregeln unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien mit der Verpflichtung zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten kommen wahre bürokratische Monster auf uns zu. Es ist unfassbar, welche Auflagen dem Mittelstand gemacht werden. All dies ist bereits auf EU-Ebene entschieden und muss national umgesetzt werden. Vom Irrweg des Verbrenner-Verbots möchte ich an dieser Stelle nicht weiter schreiben und ist meine persönliche Meinung – nur so viel: wie können wir eine Technologie verbieten, die auf der Welt noch viele Jahrzehnte dringend benötigt wird? Welche Parteien können diesen bürokratischen Wahnsinn auf EU-Ebene pragmatischer und im Sinn der Wähler besser gestalten?
Doch neben diesem Unsinn gibt es viel Sinnvolles, wo die EU handeln muss. Wie koordinieren wir zukünftig die Verteidigung in Europa? Unser Frieden ist durch den russischen Aggressor gefährdet, und wir müssen hierauf Antworten zur Abschreckung finden – auf europäischer Ebene. Die osteuropäischen Staaten sind hier schon deutlich aktiver geworden, in Westeuropa scheint man nach einer kurzen Schrecksekunde wieder einzuschlafen und sich auf die USA verlassen zu wollen.
Welche Antwort finden wir auf den zunehmenden Protektionismus? Vom Binnenmarkt in Europa profitieren wir alle erheblich, er ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch wie reagieren wir auf die Schutzzölle der USA gegenüber China? Wie positionieren wir uns in Europa und weltweit, um Freiheit und wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten? Antworten hierauf lassen sich nur auf europäischer Ebene finden.
Ebenso verhält es sich mit den Fragen der Einwanderung und Migration. Wie schaffen wir es, für Menschen attraktiv zu sein, deren Ausbildung und Arbeitskraft wir in vielen Berufen so dringend benötigen? Für unser Unternehmen finden wir kaum noch Arbeitskräfte am Markt, wir finden nicht einmal mehr Auszubildende. Wir benötigen unbedingt eine geregelte Zuwanderung, um die Folgen des demographischen Wandels wenigstens abzumildern. Gleichzeitig müssen wir humane Antworten auf die Flüchtlingsströme der Krisenregionen finden. Eine Mammut-Aufgabe…
Auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist auf europäischer Ebene für uns entscheidend. Mit dem unsäglichen „Green Deal“ wurden erstmals Schulden auf europäischer Ebene eingeführt, für die wir alle gemeinsam haften. Und jede Regierung weltweit scheint nur einen Ausweg zu sehen: noch mehr Schulden, für die immer neue Begründungen gefunden werden. Wir als Familienunternehmen denken in Generationen – wir möchten unsere Nachfahren entlasten, nicht belasten. Wie wollen wir mit dem Thema auf europäischer Ebene als Gemeinschaft umgehen? Wie sichern wir die Stabilität des Euro? Wie erhalten wir zukünftigen Generationen ihre Handlungsfreiheit?
Als energieintensives Unternehmen sind wir direkt von der Energiepolitik auf europäischer Ebene betroffen. Wir brauchen unbedingt den europäischen Netzausbau – heute im Bereich Strom, morgen im Bereich Wasserstoff. Ohne den Netzausbau werden wir die Bevölkerung und die Industrie mit erneuerbaren Energien nicht stabil versorgen können. Die Kapazitätsmechanismen auf europäischer Ebene geben uns die Versicherung und Versorgungssicherheit – die Bedeutung wird erst dann richtig bewusst, wenn sie nicht mehr gegeben sein sollte.
Bei so vielen Themen spielt Europa also eine entscheidende Rolle. In einer Demokratie hat jeder eine Stimme, nutzen wir sie für die Wahl und für Beiträge zu konstruktiven Diskussionen, damit wir gemeinsam vorankommen.
Guido Verhülsdonk sagt:
Ja! Europa ist eine Notwendigkeit! Die Evolution der Montanunion in die Europäische Union war ein monumentaler Schritt – und das nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene. Europa ist kompliziert, die Entscheidungsfindungen langwierig, die Bürokratie erdrückend und die Notwendigkeiten der verschiedenen Regionen machen mannigfaltige Auflagen oft unumgänglich. Trotz alledem argumentiere ich, dass wir die Absenz der Europäischen Union als sehr schmerzlich empfinden würden.
Es fällt leicht dir Vorgeschichte zu vergessen die uns in diese komfortable Position gebracht hat. Seit dem Mittelalter war Europa war ein Flickenteppich verschiedenster Königreiche, Grafschaften und Fürstentümer. Erbfolgekriege und andere militärische Zwistigkeiten, ganz zu schweigen von großräumigeren Kriegen mit Schweden, der Türkei und Frankreich, hinterließen Europa gleich einem Scherbenhaufen. Anfängliche Konsolidierungen der „Flicken“ und die Heiratsdiplomatie führten lediglich zu fehlgeleiteten Loyalitäten, welche im ersten Weltkrieg und dessen Zweitauflage wenige Jahre später kulminierten.
Die Europäische Union erlaubte den verfeindeten Fraktionen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eine Kommunikation auf einer Ebene die allen zum Vorteile gereichte: Handel! Parteien, die durch Handel miteinander Vorteile erringen führen keine Kriege. Krieg ist schlecht für die Gesamtökonomien, und nur vorteilhaft für einige wenige; namhaft die Entitäten die Kriege finanzieren. Kein Krieg ohne Logistik, keine Logistik ohne Finanzierung.
Denjenigen die vielen Ängste in Bezug auf Europa haben sollten vor die Wahl gestellt werden, ob sie diese Ängste lieber durch dir Angst vor Krieg ersetzen wollen. Das Krieg in Europa möglich ist wird uns seit zwei Jahren gelehrt. Ich glaube nicht, dass man den Bewohnern von Karkiv durch Papierberge, Milchseen und Auflagenfluten irgendwelche Angst einflössen kann.
Nichts ist so hinderlich für die Entfaltung der Wirtschaft wie eine anfliegende Bombe. Um dies zu verhindern, brauchen wir ein vereintes Europa, um der Gefahr aus dem Osten gegenüberzutreten. Wählen zu gehen ist essenziell, um den Populisten Einhalt zu gebieten die uns wieder in eine Kultur des Protektionismus, Säkularismus und Xenophobie zurückführen wollen. Starke Gemeinschaften werden nicht durch externe Einflüsse wie Kriege zerstört, wenn der Kern der Gemeinschaft stark ist; Gemeinschaften werden von Innen heraus zerstört.
30. Mai 2024 — 06:23
Andre Kuhn sagt:
Vielen Dank für den Kommentar und die ergänzenden Worte hierzu, volle Zustimmung!
30. Mai 2024 — 17:22