Geht es Ihnen auch so? Seit Beginn der Corona-Zeit (was für ein Wort…) scheint die Stimmung immer schlechter geworden zu sein. Als Unternehmer fiel mir der optimistische Blick auf die Zukunft im vergangenen Jahr oft richtig schwer. Dabei haben sich die Märkte zwischenzeitlich wieder erholt und die Auftragslage ist wieder gut. Natürlich werden die Herausforderungen nicht weniger – aktuell machen uns explodierende Strompreise und die Materialverfügbarkeiten Sorgen. Herausforderungen gab es aber schon immer und wird es immer geben. „Gefühlt“ haben jedoch die Menschen in meinem Umfeld – wie auch ich selbst – eine wachsende negativere Grundhaltung. Mit diesem Blog möchte ich ein paar Gedanken zu möglichen Ursachen vorstellen, auf die mich das Buch „Narren des Zufalls“ von Nassim Nicholas Taleb gebracht hat.

„Herr Kuhn, ich weiß nicht, wo Sie immer Ihren Optimismus hernehmen“ – dieses Kompliment (zumindest empfand ich dies als solches) gab mir ein sehr langjähriger, hoch geschätzter Mitarbeiter und Betriebsrat vor einigen Jahren nach der Präsentation unserer Unternehmensaussichten – vor dem Beginn der Corona-Krise. Für mich sind eine möglichst realistische, schonungslose Analyse der aktuellen Lage, sowie der Chancen und Risiken, in Verbindung mit einer optimistischen Grundeinstellung der Kern des Unternehmerseins. Ohne diese „Zutaten“ wüsste ich nicht, wie man Unternehmer sein kann.

Die Zukunft entsteht im Kopf – wie wollen wir uns weiterentwickeln, wenn wir nicht mit Zuversicht nach vorne blicken? Eine große Bestätigung hiervon habe ich im Dezember 2021 von meinen Kundenbesuchen in den USA mitgenommen – die Zuversicht in der dortigen Wirtschaft waren wie eine wohltuende, energiespendende Dusche für mich!

In dem Zusammenhang sprechen die Fakten im langjährigen Verlauf der Welt eine eindeutige Sprache. Basierend auf den seriösesten Datenquellen hat sich das Leben in der Welt, in nahezu allen Bereichen, in den letzten 200 Jahren der Aufzeichnung dramatisch verbessert. Alles spricht dafür, dass sich diese Trends in Zukunft fortsetzen. Wer dies persönlich überprüfen möchte, kann dies gerne hier überprüfen: https://ourworldindata.org/, oder beim berühmten Zukunftsforscher Matthias Horx nachlesen, der dies in seiner Kolumne vom Januar 2022 viel besser zusammenfasst, als ich es könnte:  https://www.horx.com/87-willkommen-im-jahr-2022/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=future-mind-kolumne-87,.

Warum fällt es mir dennoch schwerer, meinen Optimismus zu bewahren – und warum betrifft es anscheinend viele andere Menschen in der Welt? Was hat sich geändert?

Ist es Ihnen mit dem Beginn der Corona-Krise auch so wie mir ergangen? Plötzlich standen wir vor einer neuen Situation und niemand wusste, wie man damit umgeht. Fieberhaft habe ich alle Nachrichten und Informationen konsumiert, die hier Klarheit bringen sollten. Der Austausch über die sozialen Netze hat sich intensiviert und im Internet wurde so gründlich,wie möglich recherchiert.

Das war im März 2020 sehr wichtig und hilfreich. Unsere Unternehmen konnten sich so in Rekordgeschwindigkeit auf die neue Lage einstellen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Im April 2020 zahlte sich dies aus – wir waren für zwei bemerkenswerte Wochen die einzige Schleudergießerei unserer Branche auf der Welt, die produzierte und durchgehend lieferfähig war!

Doch der Konsum von Nachrichten war wie eine Sucht. Auch nachdem die aktuelle Bedrohung abgewehrt war, hörte ich nicht auf, drei Zeitungen zu lesen, nahezu stündlich verschiedene News-Apps zu prüfen und den Austausch über zahlreiche soziale Medien intensiv zu pflegen. Das kostete Zeit – aber vor allen Dingen viele Nerven! Es hat darüber hinaus meinen gefühlten Stress merklich vergrößert, sowie meine Stimmungslage nachhaltig verschlechtert. 

Der große Nicholas Nassim Taleb hat in seinem hervorragenden Buch „Narren des Zufalls“ schon vor über 20 Jahren auf diesen Effekt hingewiesen (S. 104 ff. der deutschen Ausgabe). Dort schrieb er: je öfter wir Nachrichten bzw. „Neuigkeiten“ konsumieren, desto schlechter fühlen wir uns. Positive Tendenzen lassen sich dagegen nur langfristig identifizieren* (dem interessierten Leser möchte ich das von ihm vorgestellte mathematisches Beispiel in der Fußnote kurz skizzieren). Psychologisch sind wir Menschen darauf konditioniert, Gefahren und Misserfolgen viel mehr Beachtung als Erfolgen beizumessen („der Säbelzahn-Tiger brauchte sofort volle Aufmerksamkeit, der volle Obstkorb konnte warten“). Eine andere psychologische Regel besagt, dass man Mitmenschen sieben Mal mehr loben als kritisieren muss, damit diese das Verhältnis als ausgewogen empfinden. Misserfolge, beziehungsweiseKritik bedeuten Stress und eine seelische Belastung. Diese können durch die Erfolge bzw. Lob nicht im gleichen Maß kompensiert werden.

Die Essenz hieraus – je öfter wir Nachrichten, Social-Media und Ähnliches konsumieren, desto schlechter fühlen wir uns. Genau dies hat die Corona-Krise bei mir noch einmal deutlich gezeigt. Selbst bei einem ausgewogenen Verhältnis von guten zu schlechten Nachrichten fühlen wir uns immer schlechter. Die negativen Nachrichten belasten uns mehrals Positive dies ausgleichen können.
 
Dieser Effekt wird, wie von Matthias Horx beschrieben, durch soziale Medien und „kostenlose“ News im Internet dramatisch verstärkt, da diese Anbieter von der Aufmerksamkeit ihrer Leser leben. Gute Nachrichten bringen keine Aufmerksamkeit. Schlechte Nachrichten, in möglichst dramatischer Form, ziehen dagegen die gewinnbringende Aufmerksamkeit der Konsumenten wie ein Magnet an (siehe hierzu auch die Enthüllungen der „Facebook-Whistleblowerin“ Frances Haugen https://de.euronews.com/next/2021/10/04/whistleblowerin-frances-haugen-37-facebook-profitiert-von-hassreden

Was ziehe ich hieraus?

 Der Jahreswechsel lädt zur langfristigen Reflexion und Analyse ein. Dies werde ich mir zurGewohnheit machen – zu Lasten meines kurzfristigen Nachrichtenkonsums. Lieber lange Analysen aus dem „Economist“ als die Tageschau-App. Zu oft und zu sehr habe ich mich im vergangenen Jahr über Ereignisse aufgeregt, die doch eher Momentaufnahmen entsprachen. Stattdessen werde ich versuchen, noch mehr die langfristigen Trends in unseren Unternehmen und in unserem Umfeld zu verfolgen. Dadurch bleibt hoffentlich auch mehr Zeit zum Studium von gehaltvollen Büchern wie sie Taleb geschrieben hat – noch habe ich nicht alle seine Werke studieren dürfen … 😉 

*Das mathematische Beispiel von Nicholas Nassim Taleb:

Wollen wir nach einem Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 % eine Rendite von 15 % bei einer Schwankungsbreite (Volatilität) von nur 10 % erzielen (was in der Wirtschaft sowie an der Börse eine überragende Leistung wäre!), so müssten wir jeden Monat zu 67 % „richtige“ Entscheidungen treffen. An einem Tag müssten wir zu 54 % „gewinnen“ – in einer Stunde „nur“ noch zu 51,3 %. 

Man stelle sich vor, dass man auf sein Portfolio an der Börse oder auf sein Unternehmen jetzt jede Stunde im Jahresverlauf schaut. Man erlebt nahezu genauso viele „Misserfolge“ (48,7 %) wie „Erfolge“ (51,3 %).
 
Schaut man wiederum einmal im Jahr auf sein Portfolio oder Unternehmen, wird man im obigen Beispiel an etwa 9 Jahren positive Ergebnisse sehen und an einem Jahr ein Schlechtes (Erfolgswahrscheinlichkeit 93 %). Schaut man monatlich hin, erlebt man etwa 8 „gute“ und 4 „schlechte“ Monate. Täglich und stündlich ist das Verhältnis dagegen fast ausgeglichen – „gefühlt“ steht es aber nahezu 7:1 negativ! Schlimmer noch: an den meisten Ergebnissen kann man nichts ändern. Das führt zu chronischem Stress, da wir diesen – dem Anschein nach überwiegend negativen – Ereignissen gefühlt hilflos ausgeliefert sind. 

Rolf Dobelli hat genau dies in seinem Bestseller „Die Kunst des digitalen Lebens“ aufgegriffen und diese Kernaussage von Taleb in seinem Buch ausgearbeitet: (https://www.dobelli.com/de/bucher/die-kunst-des-digitalen-lebens/).