Als sehr energieintensive, industrielle deutsche Unternehmensgruppe, mit einem Jahres-Stromverbrauch von über 30 GWh und einer Gesamtstromrechnung von über 10 Mio. EUR im Jahr 2022 hoffen wir, dass die Politik keinen (!) Industriestrompreis einführen wird.
Warum? Obwohl wir doch genau die Zielgruppe sind, die hiermit unterstützt werden soll?
Wir schätzen das Engagement unserer Regierung sehr. Mit großem Verantwortungsbewusstsein arbeitet unsere Koalition in der Regierung daran, möglichst allen Interessen sehr divergenter Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden und dabei den Industriestandort in Deutschland zu erhalten. Nachdem die Energiekrise infolge des unvorhersehbaren Überfalls von Russland auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgebrochen war, wurden sehr schnell Programme zur Unterstützung von energieintensiven Unternehmen aufgelegt. Wir haben hiervon profitiert, keine Frage. Man muss allerdings auch anmerken, dass unsere Gruppe im Jahr 2022 immer noch deutlich mehr Steuern gezahlt hat, als wir an Unterstützung erhielten. Wir sind quasi mit einem Teil unseres eigenen Geldes “gestützt” worden, nachdem es durch den Staatsapparat geflossen ist – und dabei ein gigantischer Verwaltungsaufwand von staatlicher, wie auch von unserer Seite notwendig geworden war.
Mittlerweile gibt es eine unglaubliche Anzahl von Antragsverfahren und Vorgaben im Rahmen der Steuer- und Subventionsgesetzgebungen, die wir im Lauf des Jahres bewältigen. Dazu gehören:
- Stromsteuererstattungserträge (§9a, 9b und 10 StromStG), um einen geringeren Anteil dieser Steuer zahlen zu müssen,
- Anträge zur Strompreiskompensation nach europäischem (EC 2020/C317/04) und deutschem Recht (Umsetzung nach DEHSt Leitfäden),
- sehr aufwändige Anträge für Ausgleichsregelungen der EEG, KWKG und ONU (§29 ff. EnFG), die auch nach dem Auslaufen der EEG-Umlage von uns weiterhin gestellt werden, um eine anteilige Entlastung von der Kraft-Wärme-Kopplungsumlage und der Offshore-Netzumlage zu erhalten (diese Anträge können wir nur mit einem externen, hoch spezialisierten Wirtschaftsprüfer bearbeiteten),
- verpflichtende Mengenmeldungen nach §66 Abs. 1 EnFG i.V. mit §75 EEG 2021,
- individuelle Netzentgelte (§ 19 Abs. 2 Strom NEV i.V. mit KWKG),
- atypische Netznutzung (§19 Abs. 2 Satz 1 Strom NEV),
- Anträge zum Energiekostendämpfungsprogramm, deren Handhabung weiterhin noch nicht vollständig geklärt ist (Grundlage EU-Krisenrahmen vom 24. März 2022 und Umsetzung der Richtlinie des BMWK),
- in diesem Jahr neu hinzugekommen: Anträge zur Nutzung der Energiepreisbremse nach dem Strom PBG (Bremsengesetz für Strom) und EWPBG (Bremsengesetz für Gas, Wärme, etc.).
Insbesondere sind die Regelungen der Energiepreisbremse weiterhin unklar und sowohl für uns als Verbraucher wie auch auf Seiten der Energieversorger sehr unsicher in der Anwendung.
Mittlerweile ist kein mittelständisches Unternehmen mehr in der Lage, diese Komplexität zu überblicken, so dass wir hier auf umfangreiche Beratung angewiesen sind. Nur noch die “Big-4” der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben hierfür die notwendige Kapazität und Kompetenz.
Diese Lage ist nicht nur für uns als mittelständisches Industrieunternehmen herausfordernd. Wir machen uns darüber hinaus große Sorgen um die Struktur der Energieversorger in Deutschland. Die meisten Stadtwerke – wie unser Lieferant (Stadtwerke Radevormwald) – sehen sich nicht mehr in der Lage, alle bereits heute bestehenden Regelungen mit der erforderlichen Geschwindigkeit rechtssicher umzusetzen. Wir erhalten für neue Ausschreibungen unserer zukünftigen Energiebedarfe daher keine Angebote mehr, was zu einer zunehmenden Konzentration im Bereich der Energieversorger auf die “großen Player” führen wird. Das sind keine gesunden Marktentwicklungen.
Jetzt hat das BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) einen weiteren, neuen Vorschlag mit einem “Brückenstrompreis” von 6 ct/kWh (Arbeitspreis ohne Steuern, Abgaben, Umlagen und Netzentgelte) in einem Arbeitspapier vorgestellt. Dieser ist nach dem Stand vom 12. Mai 2023 an zahlreiche weitere Auflagen für eine aufwendige Ermittlung und nur gegen sogenannte Transformationsverpflichtungen gebunden. Hierzu zählen die Verpflichtung
- zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 (was technisch und aus Versorgungsgründen voraussichtlich unmöglich ist),
- zu langfristigen Standortgarantien (was in einer Marktwirtschaft nie garantiert werden kann) und
- zu tariftreuem Verhalten (was schon verfassungsrechtlich höchst bedenklich erscheint).
Lieber Staat – bitte hilf uns nicht noch mehr, es ist schon so schwer genug!
Anstatt die erheblichen Probleme und Standortnachteile in Deutschland mit immer noch mehr Fördergeldern, Auflagen und Bürokratie weiter zu verschärfen, plädieren wir stark dafür, das Angebot auszuweiten, Bürokratie abzubauen und Steuern zu streichen!
Warum streicht man nicht alle (!) “Förder-”programme und komplizierten Regelungen und ersetzt diese durch eine einfache CO2-Abgabe?
Darüber hinaus sind noch mehr Anstrengungen im Ausbau von Stromtrassen und die Versorgung von Wasserstoff-basierten Energieträgern notwendig, damit dieser viel, viel schneller erfolgen kann. Die Forschung und Entwicklung der Erzeugung und Nutzung regenerativer Energien sollte weiter gefördert werden. Die Abschaltung der Atomkraftwerke ist eine Farce – auch wenn hier politisch wohl keine andere Wahl blieb.
Mein Appell: Haben wir Vertrauen in die Märkte und in die Innovationskraft sowie die Anpassungsfähigkeit der Industrie und deutschen Wirtschaft! Der Regelungswahnsinn unserer Regierung führt ansonsten in eine komplett verstaatlichte Energieversorgung und in Strukturen, die immer ineffizienter, langsamer und schlechter anpassungsfähig werden.
Vanessa sagt:
Spannender Einblick in die unternehmerische Perspektive, danke dafür! Ich komme eher aus dem Vertrieb (Verkauf von Servicerobotern, daher habe ich von den Unternehmensentscheidungen kaum Ahnung).
Ich möchte der Regierung wirklich die Bemühung nicht absprechen, aber für den normalen Bürger scheint es aktuell so, als wolle man es auf Krampf allen gleichzeitig Recht machen. Da hilft es auch nicht, auf die schreiende, protestierende und sich empörende „Opposition“ zu hören. Die werden immer weiter pöbeln und unter der Gürtellinie attackieren, egal was man macht.
Ich hätte es lieber, dass man sich mit den Vertretern der Unternehmen (und zwar NICHT NUR der größten Wirtschaftstreibern) an einen Tisch setzt und logische, hilfreiche Gesetze/Förderungen auf den Weg bringt. In der Politik der ganzen Welt regieren ja leider zunehmend Berufspolitiker, die von den Teilbereichen, die sie verantworten, zumeist leider kaum tiefgehendes Wissen haben.
27. Dezember 2023 — 11:40
Andre Kuhn sagt:
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich schätze diese Art des Austausches sehr.
Auch mich als Unternehmer treibt die Sorge um, dass sich die Politik immer weiter von der Gesellschaft und damit auch von den Unternehmen entfernt – trotz bester Absichten. Viele Entscheidungen der letzten Jahre halte ich aus meiner Perspektive für falsch. Wie Sie schätze ich dabei den Einsatz und den Willen der Menschen in der Politik, wünsche mir jedoch oft eine bessere Qualifikation z.B. in Form von notwendigen wirtschaftlichen Kenntnissen. Leider scheint dies noch niemand in einer Demokratie erfolgreich etabliert zu haben….
28. Dezember 2023 — 07:23
Gili sagt:
Eine interessante Sichtweise, bei der man so wenig Kenntnis hat. Dabei möchte man als Unternehmen nur vorankommen und den Materialfluss verbessern und die Effizienz steigern, ohne auf eine noch grössere Mauer der Bürokratie zu stossen. Es ist wie mit angezogener Handbremse zu fahren.
11. Mai 2024 — 17:47
Andre Kuhn sagt:
„Wie mit angezogener Handbremse“ – vielen Dank für Ihren Kommentar, volle Zustimmung. Es gibt für die Hemmnisse durch Bürokratie in Deutschland leider sehr viele Beispiele in unserer Unternehmensgruppe….
13. Mai 2024 — 15:00
Yuuji98 sagt:
„Vertrauen in die Märkte und in die Innovationskraft“ klingt sehr nach FDP Parolen. In Glauben an Innovation allein wird man gegenwärtig keine Probleme lösen. Die Reduzierung von Regularien bewirkt nicht automatisch Innovation. Dann lieber pragmatisch private Solargeländer subventionieren.
16. Mai 2024 — 08:56