Ende der 90er-Jahre musste ich als Unternehmer bis zum Rentenbeginn einer gestandenen Führungskraft warten, um ein offenes Feedback zu erhalten. Zu meinem Erstaunen verriet ein gestandener Manager mir an seinem letzten Arbeitstag, dass er sich über eine Entscheidung von mir vor drei Jahren sehr geärgert hatte und hoffte, ich würde seinem Nachfolger in solch einer Situation mehr Freiheiten lassen. Jetzt an seinem Arbeitstag – nachdem er ja aus dem Beruf ausscheide – könne er mir dies endlich einmal sagen.

Ich war erschüttert – über die Tatsache, dass eine derart erfahrene und allseits respektierte Führungskraft so etwas drei Jahre mit sich herumträgt, bevor er einem Jungunternehmer ein offenes Feedback gibt. Dies hat nicht nur – aus für mich in dieser Zeit nicht nachvollziehbaren Gründen – unsere Beziehung damals belastet, sondern auch mir selbst und dem Unternehmen an dieser Stelle die Möglichkeit genommen, zu lernen und sich zu verbessern. Mein „Selbstbild“ als ein für jede Kritik offener Mensch hatte einen erheblichen Knacks erhalten.

Offenes Feedback ist etwas, was sich wohl sehr viele Unternehmer wünschen, aber nur sehr wenige erhalten. „Selbst Schuld“ könnte man sagen – große Empathie, Fingerspitzengefühl im Umgang mit Mitarbeitern und Sensibilität für subtile Andeutungen gehören klassischerweise nicht zu den Kernkompetenzen eines Unternehmers, wie jeder betroffene Ehepartner zweifelsfrei bestätigen kann.

So hat es in unserem Unternehmen mehr als 10 Jahre gedauert, um eine „Feedback-Kultur“ zu entwickeln, in welcher man in wenigen Fällen das Glück hat, mehr über sich zu erfahren, die Gelegenheit zum Lernen zu erhalten und Entscheidungen oder Sachverhalte überdenken zu können.

Feedback ist bei uns immer etwas Persönliches – ein Geschenk eines Mitarbeiters oder Kollegen, welches nicht kommentiert oder gerechtfertigt werden sollte, sondern bei dem sich der Empfänger zunächst ausschließlich um Verständnis bemüht. Er ist keine Rechenschaft schuldig und entscheidet selbst, wie er mit diesem Geschenk umgeht, und was er hiervon für sich nutzen möchte und nutzen kann.

Darum ist das direkte persönliche Gespräch so wichtig, in dem mit möglichst klaren Worten annahmegerecht (dieser Punkt ist ganz wichtig!) das Feedback vermittelt wird. Nützliches Feedback entsteht aus dem Gespräch, nicht aus der Note auf dem Fragebogen.  Anonyme Feedbacks über Fragebögen sind aus unserer Sicht daher nicht geeignet. Statt des Managers selbst wird hier oft die Qualität der Beziehung zu diesem beurteilt. Und zu diesem Urteil kommt man möglicherweise, weil der Feedbackgeber sich an ein besonders (un)angenehmes Zusammentreffen mit dem Beurteilten erinnert – Psychologen sprechen hier vom sogenannten Ankereffekt (so der Augsburger Professor Oswald Neuberger). Auch eignet sich zur Beurteilung von Führungskräften ein „360-Grad-Feedback“ nicht. Führungskräfte haben eine hohe Verantwortung für die Zukunftssicherheit des Unternehmens. Sie müssen in gewissen Situationen auch harte Entscheidungen treffen und umsetzen und können sich dabei nicht einem Wettbewerb um ihre Popularität stellen.

Wozu dient Feedback dann überhaupt?

Offene Rückmeldungen sind wertvoll und unerlässlich, um die Qualität von Entscheidungen zu verbessern. Führungskräfte und Unternehmer haben keinen alleinigen Anspruch auf Wahrheit und Weisheit  – wer hätte das gedacht ;-)? Es ist in unserem komplexen Umfeld heute mehr denn je so, dass die Mitarbeiter vor Ort bessere Informationen haben, die unbedingt berücksichtigt werden sollten. Da es unmöglich ist, jeden jederzeit in alle Entscheidungen einzubeziehen, ist es daher heute umso wichtiger, eine offene Rückmeldung zu haben, wenn etwas besser entschieden oder umgesetzt werden kann.

Feedback ist darüber hinaus eine faszinierende Quelle von Erkenntnissen über sich selbst, zur Erforschung des „Unbekannten Flecks“ wie er im Johari-Fenster  beschrieben wird (http://de.wikipedia.org/wiki/Johari-Fenster).

Johori-Fenster

So durfte ich durch ein offenes Feedback erfahren, dass meine kleinen Sekundenschlafphasen in ein paar größeren Besprechungsrunden keineswegs so unbemerkt geblieben waren, wie ich es damals dachte …

In einem ernsthafteren Fall erhielt ich erst vor kurzer Zeit die Rückmeldung, dass ein Mitarbeiter, welcher mich nur selten sieht, freundlich hinter meinen Rücken nachgefragt hatte, ob ich auch hin und wieder lachen könnte … Als Mensch, der gerne und viel lacht und dem es wichtig ist, Freude zu haben und dies auch zu zeigen, hat mich diese Aussage sehr nachdenklich in Bezug auf die Wirkung meines Verhalten wie auch meine innere Einstellung werden lassen.

Ein gut vorbereitetes Feedbackgespräch veranlasst die Feedbackpartner dazu, sich intensiv mit ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen und sich darum zu bemühen, dem anderen eine Hilfestellung in Bezug auf sein Verhalten und seine Weiterentwicklung zu geben. In diesem Sinne sprechen wir von Feedback als einem echten Geschenk!

Last but not least ist Feedback ein wunderbares Mittel, um die Beziehung zwischen zwei Menschen zu verbessern, indem Missverständnisse geklärt oder Verhaltensweisen reflektiert werden, die zu Konflikten führen können. Für eine gute Zusammenarbeit im Team gehört für uns ein Feedbackgespräch zu den grundlegenden Werkzeugen und sollte mindestens einmal jährlich zwischen Menschen, die eng miteinander arbeiten, durchgeführt werden.

Eine noch ungelöste Herausforderung bleibt dabei für mich, ob und wie ich einem Mitarbeiter ein Feedback geben kann, ohne ihn zu beurteilen oder ohne dass dieses Feedback als Urteil empfunden wird. Wie kann ich eine Rückmeldung zu einer Verhaltensweise abgeben, ohne dass dies als Urteil über seine Person angesehen wird – wie kann ich einen Tipp zur Weiterentwicklung geben, ohne dass dies als disziplinarische Aufforderung empfunden wird? Hier ist es aus meiner Erfahrung aus der Sicht des Mitarbeiters nicht möglich, einen Unterschied zwischen Feedbackgespräch und Mitarbeiterbeurteilung zu machen – vielleicht ist es anderen gelungen, dieses Thema zu lösen?

Generell ist Feedback ein wunderbares Instrument zur Selbstanalyse, um seine Stärken auszubauen und seine Schwächen hoffentlich unwirksam werden zu lassen. Ich wünsche jeder Führungskraft und besonders jedem Unternehmer, dass er diese Kultur in seinem Bereich etablieren kann, um so die Möglichkeit zum Lernen zu erhalten. Dieses kann nicht nur zwischen Mitarbeitern innerhalb eines Unternehmens erfolgen, sondern ist nach unserer Erfahrung sogar zwischen Mitarbeitern in Kunden-Lieferantenbeziehungen gut möglich – unabhängig davon, dass man als Lieferant immer um das Feedback seines Kunden in Bezug auf seine Organisation bemüht sein muss, egal wie emotional dieses Feedback auch erfolgen mag.