Die Chancen von Industrie 4.0 sind in aller Munde. Die Politik und die Gesellschaft in Deutschland hoffen auf langfristigen Wohlstand, wenn es uns als Industrieunternehmen gelingt, mehr und „intelligentere“ Automatisierung am „Hochlohnstandort Deutschland“ zu realisieren. Angesichts steigender Lohnkosten und des Preisdrucks globaler Märkte erscheint diese Art der Rationalisierung als notwendige und naheliegende Lösung. In der Praxis ist es nur nicht immer einfach, Mitarbeiter mit ihren Sorgen dabei mitzunehmen. Hierzu ein Bericht aus unserem Unternehmensalltag:
Während einer der Runden mit einem voll besetzten Betriebsrat und der Geschäftsführung wurde über die weitere Unternehmensentwicklung gesprochen. Mit viel Begeisterung und Überzeugung beschrieb unsere Geschäftsführung immer wieder die heutigen Chancen der Automatisierung bei Produkten, bei denen die Varianz geringer und die Stückzahlen höher sind. Der Funke schien jedoch wieder einmal nicht überzuspringen. Schließlich fasste der Vorsitzende des Betriebsrates die Gedanken seiner Kollegen zusammen: „Wir verstehen die Notwendigkeit zunehmender Automatisierung angesichts des steigenden Kostendrucks und sinkender Preise. Es fällt uns nur sehr schwer, alle Kollegen hierbei mitzunehmen. Viele haben Angst! Rationalisierung wird mit der Gefahr von Arbeitsplatzverlust verbunden. Wie können wir das im Unternehmen besser vermitteln?“
Ich war ein wenig überrascht. Wir investieren in die Zukunft unseres Unternehmens und unseres Standortes! Wir finden Lösungen, wie wir in Anbetracht enormer Herausforderungen am Markt langfristig als Auftragsfertiger ohne ein eigenes Produkt erfolgreich sein können. Wir gehen nach meinem Verständnis sehr mutig nach vorn, indem wir noch nirgendwo in unserem Umfeld erprobte Konzepte entwickeln und bei laufendem Betrieb realisieren. Ich hatte sogar auf ein wenig Begeisterung der Mitarbeiter gehofft – angesichts dieser Chancen und der langfristig geplanten Investitionen in den Standort.
Doch natürlich ist die Sichtweise eines Mitarbeiters in der Produktion auf der anderen Seite auch verständlich. Wir investieren in Automatisierung mit dem klaren Ziel, mit weniger Mitarbeitern mehr als heute zu schaffen. Besonders Kollegen mit einer geringeren Qualifikation können hiervon direkt betroffen sein. Wenn unser Unternehmen in Zukunft am Markt weiter erfolgreich sein will, wird es weniger Arbeitsplätze mit geringerer Qualifikation anbieten können.
Diese Logik trifft vermutlich auf einen großen Teil der Produktionsunternehmen in Deutschland zu. Dabei ist es doch so: Mitarbeiter in einem deutschen Produktionsunternehmen sollten sich große Sorgen machen, wenn dort nicht in Automatisierung und Industrie 4.0 investiert wird. Wie will das Unternehmen dann angesichts steigender Kosten in globalen Märkten langfristig überleben?
Diese Entwicklung trifft uns nicht nur in Deutschland. Trump wurde in erster Linie von dem „nicht mehr anerkannten weißen Industriearbeiter“ gewählt, der im Zuge von Automatisierung und Globalisierung seinen Job in den letzten Jahren an einen Roboter oder Chinesen verloren hat.
Doch zurück zu unserem eigenen Produktionsunternehmen: Welche Antworten haben wir für unsere Mitarbeiter auf deren sorgenvolle Fragen?
Die erste Antwort lautet: Qualifikation! Wer aufhört zu lernen, gefährdet seinen Arbeitsplatz. Wer sich dagegen kontinuierlich weiterbildet, sichert seine Zukunft. Das fängt in der Produktion sehr pragmatisch mit einer Querqualifikation als Springer an. Wer in der Lage ist, auf verschiedenen Arbeitsplätzen kompetent gute Leistungen zu erbringen, den trifft es wenig, wenn einer dieser Arbeitsplätze in Zukunft wegfallen sollte. Es geht auch über mehr Inhalte: Wer in der Lage ist, eine Maschine nicht nur zu bedienen, sondern sie inklusive des „Kollegen Roboter“ auch noch programmieren, warten oder instand setzen kann, macht sich sehr schnell unverzichtbar.
Die zweite Antwort lautet: Neues! Wir wollen als Unternehmen nicht stehen bleiben. Wir suchen nach neuen Bauteilen, die wir fertigen können, neuen Verfahren, die wir einsetzen können, und zusätzlichen Märkten, die wir mit unseren Kernkompetenzen erfolgreich erobern können. Dies schaffen wir nur aus einer Position der Stärke heraus, indem wir den Kunden auf Basis unserer Fähigkeiten einen Nutzen bieten, den er nach Möglichkeit nirgendwo sonst auf der Welt erhält. Dafür brauchen wir Mitarbeiter, die mit Elan sehr schnell und kompetent auf neue Herausforderungen im Unternehmen reagieren und sich mit einem Stück Begeisterung um neue Probleme kümmern.
Last, but not least: Die Verantwortung ist einer unserer Kernwerte als Familienunternehmen. Dort, wo es altgedienten Kollegen schwererfällt, sich auf neue Qualifikationen oder Bauteile einzulassen, versuchen wir alles, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und sie zu fördern. Gerade älteren Menschen kommt beispielsweise die Unterstützung durch einen Roboter bei unseren oft sehr schweren Bauteilen sogar besonders zugute und kann die körperliche Anstrengung erleichtern.
Unsere Herausforderung auf der Seite der Unternehmensleitung liegt also insbesondere darin, die Mitarbeiter auf die Reise in die Zukunft mitzunehmen. Die Abwärtsspirale sähe so aus: Angst vor der Zukunft – mangelnde Bereitschaft zur Veränderung – nicht erfolgreiche Einführung automatisierter Verfahren – steigende Kosten – Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und damit Ende des Standortes. Die positive Spirale geht dagegen so: Erkenntnis der notwendigen Veränderungen für das Unternehmen und jeden persönlich – Ausbau der Qualifikation – Begeisterung für neue Technik und neue Aufgaben – Steigerung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit – Ausbau des Standortes mit weiteren Produkten durch bessere Wettbewerbsfähigkeit.
Ich habe das Gefühl, dass dies nicht nur eine Herausforderung in unserem Unternehmen ist, sondern unsere gesamte Gesellschaft betrifft …
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cookie88 sagt:
Eine Unternehmensentwicklung ist das auf jeden Fall, ob sie gut oder schlecht ist, muss noch herausgefunden werden.
19. April 2019 — 10:16
Milon Gupta sagt:
Industrie 4.0 ist mehr als nur eine intelligentere Form der Automatisierung. Industrie 4.0 revolutioniert Produktionsprozesse und Wertschöpfungsketten. Klar, dass solche Veränderungen Ängste bei Mitarbeitern wecken. Doch die Alternative zur Vernetzung und Innovation von Produktionsprozessen ist der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen. Der Beitrag beschreibt diese Alternative sehr klar. Die harte Realität ist, dass nur Unternehmen und Mitarbeiter, die veränderungsbereit sind, eine wirtschaftliche Zukunft haben. Darüber hinaus braucht jedes produzierende Unternehmen eine Industrie-4.0-Strategie, die die Mitarbeiter aktiv miteinbezieht. Denn ohne motivierte Mitarbeiter wird auch die Fabrik der Zukunft nicht funktionieren.
12. Juli 2019 — 12:45
Jelali sagt:
Dieser Beitrag finde ich toll. Als Gestalter und Entwickler von I4.0-Systemen kann ich das nur begrüßen, dass wir die Menschen mitnehmen, nicht durch Roboter ersetzen.
29. August 2019 — 15:56
M. Totzek sagt:
Ich selbst bin im Alter von 46 Jahren in die Selbständigkeit gegangen, mit allen Risiken, und habe auch mit „0“-Kunden angefangen. Mittlerweile konnte ich mir einen interessanten Kundenstamm aufbauen und bekomme durch meine Tätigkeit in viele Branchen und Unternehmen Deutschlands Einsicht. Wenn sich ein Unternehmen heute nicht an die ständig und immer schneller wechselnden Anforderungen des Marktes , politischer Einflüsse und der Rücksichtnahme auf unsere Umwelt anpasst hat es einfach keine Existenzberechtigung mehr und wird vom Markt rücksichtslos ins Abseits geschoben. Das bedeutet gleichzeitig, dass auch die Mitarbeiter einerseits ihre eigene Verantwortung begreifen müssen und sich selbst engagieren und möglichst umfassend weiterqualifizieren müssen. Der Unternehmer /die Geschäftsleitung müssen täglich Entscheidungen treffen, welche sich hoffentlich auch noch in einigen Jahren als richtig erweisen. Leider haben wir es innen- wie auch außenpolitisch in den letzten Jahren immer mehr mit nicht mehr vorhersehbaren Einflüssen zu tun: Innerhalb der Bundesregierung schiebt man sich gegenseitig Pöstchen zu an Personen, welche absolut nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügen. Ausbügeln muss es wie immer der hauptsächlich der Mittelstand und die Steuerzahler (Elbphilharmonie, Berliner Flughafen, die völlig hektische und mit der Brechstange angestrebte Umstellung auf Elektromobilität, ohne dazu die notwendige Batteriespeicherkapazität zu haben). Gleichzeitig müssen sich die dafür zuständigen Entscheider (z.Bsp. Herr Wowereit) nicht für ihre eigene, gesellschaftsschädigende Tätigkeit verantworten. Außenpolitisch sind in wichtigen Industrieländern plötzlich Entscheider an der Macht, welche überhaupt nicht mehr in ihren Entscheidungen kalkulierbar sind und – noch viel schlimmer – auch internationale Verträge von heute auf morgen annulieren und ignorieren.
jedem Beruftstätigen in Deutschland sollte klar sein, dass Deutschland hochqualifizierte, geistig möglichst flexible Mitarbeiter braucht, welche aus „eigenem Antrieb“ heraus sich um ihre tägliche und zukünftige Leistungsfähigkeit kümmern. leider stelle ich in meinen Gesprächen mit Entscheidern immer mehr fest, dass genau dieser Antrieb immer mehr fehlt, das Anspruchsdenken („mir steht zu“) aber immer stärker wächst.
Diese Einstellung führt aber zur persönlichen, mittelfristig auch zur gesellschaftlichen Katastrophe, da nur wenige Leistungsträger nicht in der Lage sein werden über Steuern und Abgaben das soziale System in Deutschland aufrechtzuerhalten. Wir brauchen engagierte und qualifizierte Mitarbeiter, aber jeder ist „seines eigenen Glückes Schmied“. Ohne den Willen zur eigenen Weiterentwicklung wird es auf Dauer nicht gut gehen. Und die Ausrede, dass alle anderen Schuld am eigenen Unglück haben ist eben nur eine Ausrede. Selbstverständlich muss Menschen geholfen und diese auch unterstützt werden, welche – warum auch immer – nicht so leistungsfähig sind wie andere. Aber Grundlage dafür ist immer der eigene Wille und das Bestreben dieser Personen.
9. September 2019 — 12:40
Andre Kuhn sagt:
Sehr geehrter Herr Totzek
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Ich kann Ihnen in Ihrer Meinung nur voll zustimmen. Aber als mittelständischer Unternehmer über Politik zu sprechen oder sich über sie zu beklagen bringt meiner Ansicht nach nichts. Wir können hier einfach nichts verändern. Die Entwicklung ist mit Sicherheit sehr besorgniserregend. Wir versuchen in unserem Unternehmen, die Dinge zu beeinflussen, die wir verändern können und mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die wir nicht in der Hand haben. Dazu gehören leider immer mehr Gesetze, Vorschriften, Steuern, mangelnde Verantwortung der öffentlichen Hand etc.… aber was hilft es, darüber zu klagen? Letztendlich kann ich aus sehr vielen Reisen berichten, dass es in anderen Ländern auch nicht besser – zumeist sogar schlechter – läuft. Also sehen wir das, was wir beeinflussen und gestalten können. Das ist als Unternehmer erfreulicher Weise ja noch eine ganze Menge. Ich wünsche Ihnen daher viel Mut und Energie!
Besten Gruß,
Andre
11. September 2019 — 07:05
Mick sagt:
Angst vor Veränderungen ist bei großen Umstellungen wie Industrie 4.0 absolut nachvollziehbar, aber der Ansatz, Qualifikation in den Fokus zu rücken, ist genau der richtige. Besonders spannend finde ich die Idee, dass Weiterbildungen nicht nur Sicherheit geben, sondern langfristig auch Chancen schaffen. Es wäre interessant zu wissen, wie ältere Mitarbeiter in diesen Prozess eingebunden werden, da sie oft andere Bedürfnisse haben.
Gibt es Beispiele aus Ihrem Unternehmen, wie solche Maßnahmen konkret umgesetzt wurden?
20. November 2024 — 14:14
Vanessa sagt:
Die Angst vor Automatisierung ist nachvollziehbar, aber sie sollte nicht den Blick auf die Chancen verstellen. Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter aktiv in den Wandel einbinden und gleichzeitig Schulungen anbieten, können neue Technologien mehr Sicherheit als Bedrohung bieten.
Besonders beeindruckt hat mich der Gedanke, wie ältere Mitarbeitende durch technische Unterstützung entlastet werden könnten. Glaubt ihr, dass solche Maßnahmen langfristig die Skepsis abbauen können?
29. Januar 2025 — 07:38