Wie sinnvoll ist eine Unternehmensplanung? Sollte man die Zukunft überhaupt sinnvoll in diesen Zeiten großer Veränderungen planen? Wie ist die Sichtweise in Asien im Vergleich zu uns in Europa hierzu? An dieser Stelle ein paar Einsichten in die unterschiedlichen Einstellungen von Ost und West zu diesen Fragen aus den Erfahrungen von 18 Jahren guter Zusammenarbeit von Taiwanesen und Deutschen, die auch in diesem Jahr bei unserem Planungstreffen vor Ort in Taiwan wieder für einige konstruktive Diskussionen sorgte….
Zum Jahreswechsel erfolgt bei uns wie in vielen Unternehmen das jährliche Ritual des Blicks in die Glaskugel: Wie wird das kommende Jahr? Von welchen Annahmen gehen wir im Markt aus, was bedeutet dies für unsere Kapazitäten, unser Personal, unsere Investitionen und für die Entwicklung unserer Fähigkeiten und Kompetenzen?
Im Rahmen unserer langfristigen Unternehmensvision und unserer mehrjährigen, ausgearbeiteten Strategie legen wir in Deutschland in unserer Kuhn-Gruppe den Zielrahmen für das kommende Jahr in groben Zügen fest und arbeiten ihn mit der Führungsmannschaft in den einzelnen Unternehmen und den dort betroffenen Mitarbeitern weiter aus.
Jährlich versuchen wir auch, die Rahmenbedingungen für das kommende Jahr mit unseren Joint-Venture Partner in Taiwan zu ermitteln und auf dieser Basis eine rudimentäre Planung für den dortigen Standort aufzustellen. Jedes Jahr erleben wir dort jedoch aufs Neue eine völlig unterschiedliche Einstellung in Bezug auf die Sinnhaftigkeit so einer Planung. „Et kütt wie et kütt“ – diese kölsche Weisheit könnte auch ein Asiate erfunden haben.
Wir arbeiten seit mehr als 18 Jahren wirtschaftlich erfolgreich in Taiwan zusammen – eine langjährige Partnerschaft, auf die beide Seiten stolz sein können. Wie in jeder Partnerschaft haben wir uns als Taiwanesen und Deutsche und insbesondere als Menschen mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen kennen und auch aufgrund unserer gegenseitigen Verlässlichkeit schätzen lernen können. So haben wir gegenseitig ein tiefes Vertrauen entwickelt.
Bei der Frage der Unternehmensplanung haben wir jedoch trotz der vielen gemeinsamen Jahre jedoch immer noch völlig unterschiedliche Ansichten.
Unsere taiwanischen Partner haben kein Verständnis für den Sinn einer Planung. Dies führt jedes Jahr aufs Neue zu Irritationen, wenn hierfür benötigte Zahlen eher ad-hoc abgeschätzt werden und keiner genaueren Nachfrage standhalten können. Man verweigert sich nicht mehr diesem aus Sicht der Taiwanesen völlig sinnlosem Ritual, sieht hierin aber auch keinen Mehrwert. Die Einstellung unseres Partner und hoch geschätzten Geschäftsführers vor Ort Steven Pan könnte man in etwa wie folgt beschreiben:
Die Realität sieht immer anders aus als eine Planung. Egal was man geplant hat, man muss sich schnell und effizient auf veränderte Bedingungen in der Auftragslage und am Markt anpassen. In der Vergangenheit hat man immer wieder unter Beweis gestellt, dass dies hervorragend gelungen ist. Keiner kann die Zukunft vorhersagen – welcher Sinn liegt daher darin, es überhaupt zu versuchen? Jede Zahl, die man aufschreibt, ist falsch. Es ist daher nicht die Arbeit wert, überhaupt etwas anzunehmen. Woher soll man solche Zahlen überhaupt nehmen? Von den Kunden erhält man selten konkrete Aussagen und selbst wenn dies geschieht war es nie genauso eingetreten wie zugesagt. Man weiß nicht einmal, was der kommende Monat bringen wird – wie und warum soll man versuchen, ein ganzes Jahr vorher zu sehen?
Investitionen sind nach Überzeugung unserer Geschäftsführung in Taiwan nur dort sinnvoll, wo man nach der Kalkulation schnelles Geld verdienen kann oder wo es noch keinen Wettbewerber vor Ort gibt. Ob sie sich rechnen, lässt sich kaum vorhersagen – daher investiert man im Zweifel auch lieber nicht oder nur so gering wie möglich. Hauptsache ist, man bleibt mit der Anpassungsfähigkeit der Kosten so flexibel wie nur möglich.
Flexibilität an Stelle einer Planung ist nach dortiger Meinung der Schlüssel zum Erfolgt. Zu der Stammmannschaft der Mitarbeiter halten wir bei unserem Joint-Venture in Taiwan in guten wie in schlechten Zeiten. Diese müssen dann allerdings auch selbst ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen. In schlechten Monaten arbeitet man nur 3-4 Tage in der Woche – die Mitarbeiter werden auch nur hierfür bezahlt. In guten Monaten können es dann bis zu 60 Stunden pro Woche pro Mitarbeiter werden. Dafür erhalten alle Mitarbeiter in guten Jahren auch eine sehr ordentliche Prämie zum chinesischen Neujahr, die mehr als ein Monatsgehalt ausmachen kann.
Diese Denkweise hat unserem Joint-Venture in Taiwan seit über 18 Jahren das Überleben durch Krisen und Boomphasen hindurch gesichert
Warum sind wir Deutschen dann so „verbohrt“ und versuchen weiterhin jedes Jahr, eine Unternehmensplanung zumindest in Grundzügen auf die Beine zu stellen?
Wir möchten aus der Entfernung natürlich gerne wissen, wie die Erwartungen unserer Partner und des lokalen Managements aussehen. Auch wenn hier nichts in Zahlen definiert würde gibt es doch immer eine gewisse Vorstellung über das kommende Jahr. Problematisch wird es in der Joint-Venture Partnerschaft immer dann, wenn die Vorstellungen voneinander abweichen und damit unterschiedliche Erwartungen grade in Bezug auf Umsatz, Wachstum, Risiken und Rentabilität vorliegen.
Unterschiedliche Erwartungen – grade dann, wenn sie nicht ausgesprochen werden – haben zur Folge, dass ein Partner sich getäuscht fühlt, wenn diese nicht eintreten. Der Partner wird ent-täuscht. Das führt automatische zu Spannungen, wenn dies einseitig geschieht – wenn also nur eine Seite enttäuscht wurde, während die andere Seite „schon mit so etwas gerechnet hatte“. Über kulturelle und sprachliche Hürden hinweg können solche Spannungen dann sofort zu einem massiven Streit ausarten.
Den ersten, großen Vorteil in einer gemeinsamen Planung sehen wir daher darin, dass wir ein gemeinsames Verständnis entwickeln und eine gemeinsame Sprache finden. Wir können dann immer noch gemeinsam ent-täuscht werden, weil unsere Erwartungen nicht so eintreffen wie geplant. Eine gemeinsame Enttäuschung kann eine Partnerschaft aber sogar noch verstärken, anstatt sie zu schwächen.
Aus der gemeinsamen Sicht über die weitere Zukunft heraus müssen wir auch gemeinsame Unternehmensentscheidungen treffen. Worin wollen wir investieren, welche Fähigkeiten und Kompetenzen müssen wir ausbauen und wo finden wir die Kunden von Morgen? Welche Mitarbeiter benötigen wir hierfür und was müssen diese können? Welche finanziellen Mittel benötigen wir und wie bringen wir diese auf? Was bedeutet dies für das unternehmerische Risiko, welches wir gemeinsam tragen?
Diese Entscheidungen können wir nur gemeinsam treffen, wenn wir unsere Erwartungen gegenseitig möglichst klar kommuniziert und abgestimmt haben. Diese Entscheidungen wirken in jedem Fall langfristig und müssen daher unabhängig von kurz- und mittelfristigen konjunkturellen Verläufen und Schwankungen im Auftragseingang getroffen werden.
Letztendlich ist die gemeinsame Planung auch eine hervorragende Gelegenheit dazu, uns gegenseitig mit unserer Marktkenntnis, unserem technologischen Verständnis und unserer Einschätzung der Rahmenbedingungen zu unterstützen. Durch die Diskussionen entsteht ein gemeinsames Bild, welches für beide Seiten zusätzliche Erkenntnisse bringt und daher bessere Entscheidungen für die Zukunft ermöglicht.
Bei aller Notwendigkeit, die wir als deutsche Unternehmer in der jährlichen Planung aus den oben genannten Gründen sehen haben wir von unseren taiwanischen Partnern jedoch auch lernen können, uns nie hierauf voll zu verlassen. Mit Bewunderung schauen wir auf die unglaublich schnelle Anpassungsfähigkeit dort vor Ort und versuchen, hierfür auch für uns in Deutschland etwas zu lernen.
Auch das macht eine Partnerschaft zwischen Ost und West sehr wertvoll.