Was kann ein mittelständisches Produktionsunternehmen von einem Historiker lernen?

Yuval Noah Harari veröffentlichte in diesem Jahr eine Sammlung seiner Aufsätze über brandaktuelle Entwicklungen unserer Welt, welche sich spannend wie ein Krimi lesen und dabei komplexe Zusammenhänge mit einfachen Worten beschreiben: „21 Lessons for the 21st Century“. Neben vielen anderen Aspekten befasst er sich auch mit der Entwicklung globaler Wertschöpfungsketten, Automatisierung und künstlicher Intelligenz. Seine Beschreibungen sind faszinierend und provozieren zugleich.

Nach Harari werden wir schon in wenigen Jahren weite Teile aller Wertschöpfungsketten automatisiert haben, uns in vielen Fragen des Lebens von künstlicher Intelligenz (KI) anleiten lassen und unsere Körper mit Bioimplantaten nahezu unsterblich machen können. Immer mehr Jobs werden dadurch nach seiner Darstellung obsolet, angefangen von einfachen Tätigkeiten bis hin zu heutigen Experten, die zunächst mit Unterstützung von KI bessere Resultate erzielen können, um eines Tages sogar von der KI ersetzt zu werden.

Harari ist ein großartiger Wissenschaftler und Vordenker. Sehen wir in unserer Gesellschaft und insbesondere in unseren Unternehmen wirklich die Gefahr, dass die Automatisierung und KI Menschen in naher Zukunft komplett ersetzen wird?

Als Produktionsunternehmen in Deutschland haben wir hier eine andere Sicht. Hierzu ist die Differenzierung zwischen komplizierten und komplexen Herausforderungen und Systemen hilfreich.

Ein kompliziertes System ist wie eine mechanische Uhr oder ein Flugzeug. Die Zusammenhänge mögen sehr schwer verständlich sein, sind letztendlich aber in sich logisch, zuverlässig beherrschbar und vorhersagbar (daran glauben wir zumindest immer dann, wenn wir in ein Flugzeug steigen).

Komplexe Systeme können einfach aussehen, sind aber unmöglich vollkommen zu beherrschen oder vorherzusehen. Das physikalische Doppelpendel gehört hierzu (wie alle chaotischen Systeme und damit fast jedes Element der Natur) oder so etwas Einfaches wie ein Teller Spagetti: es ist unmöglich vorherzusehen was passiert, wenn man an einer einzelnen Nudel zieht (trotz unzähliger Experimente von Kindesbeinen an).

Wir sehen in unserem Unternehmen und in unserem Umfeld immer mehr komplexe Herausforderungen, die sich kaum mit Lösungsansätzen für komplizierte Probleme lösen lassen. Die Rahmenbedingungen ändern sich immer schneller und keiner ist in der Lage, eine zuverlässige Prognose über die kommenden Monate oder gar Jahre zu geben. Die Anforderungen aus der Technik, von den Kunden, von der Umwelt wie auch von den Mitarbeitern steigen und sind untereinander abhängig, so dass die gegenseitigen Wechselwirkungen nicht mehr vorhergesagt werden können. Viele Mitarbeiter fühlen sich hiermit schnell überfordert, weil die „klassischen Managementinstrumente“ auf komplizierte Probleme zielen, die sich mit Standards, Methoden und Systemen in den Griff bekommen lassen (mehr hierzu wie zur Entwicklung von „new work“ unter anderem unter https://larsvollmer.com/ , https://intrinsify.de/ , https://www.v-und-s.de/ , https://www.onthewaytonewwork.com/ ).

Warum ist das eine gute Sache?

Weil der Mensch damit unersetzbar wird.

Unsere These ist, dass Maschinen und KI nicht in der Lage sind, komplexe Probleme zu bewältigen. Ein Schachspiel ist kompliziert, das Spiel GO ist um ein Vielfaches komplizierter – aber letztendlich handelt es sich um klare, logische, mit Regeln beschreibbare Systeme. Sie sind deterministisch. Damit werden sie von KI vollkommen beherrschbar.

Die Natur und immer mehr Anforderungen sind komplex. Man kann sie nicht vorhersagen – das hat die Chaostheorie vor Jahrzehnten mathematisch nachgewiesen. Unsere These ist, dass es hier langfristig immer noch den Menschen, den Experten und Könner benötigt, um hier gute Entscheidungen zu treffen.

Viele einfache Tätigkeiten können durch die Automatisierung ersetzt werden – in der Produktion und immer mehr auch in der Dienstleistungsbranche. Es sind revolutionäre Fortschritte auf fast allen Gebieten erkennbar. Dies wird dramatische Umbrüche in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zur Folge haben. Wie Harari es beschreibt sind hierdurch vermutlich wesentlich mehr Jobs in den sogenannten „Billiglohn-Ländern“ bedroht als in Deutschland.

Die Entwicklung, die Optimierung und der zuverlässige Betrieb hoch automatisierter Produktionsanlagen ist jedoch wiederum komplex. Maschinen werden keine Maschinen bauen – sie werden Menschen dabei unterstützen, jedoch die Ingenieure und Produktionsleiter unserer Meinung nach nicht ersetzen.

Ist es denn so tragisch, dass immer mehr einfache, den Geist nicht fordernde Tätigkeiten in der Produktion und im Dienstleistungsgewerbe entfallen können? Trauert wirklich jemand einer Arbeit nach, bei der er den ganzen Tag über die gleichen monotonen Tätigkeiten verrichtet? Haben wir auf der anderen Seite nicht umso mehr Bedarf in Bereichen, wo Menschen für Menschen da sind – in den Pflegeberufen, der Erziehung, der Bildung etc.? Auch hier kann uns die Robotik sicher insbesondere bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten und bei der Bereitstellung von Wissen noch viel mehr unterstützen. Sie kann einen Menschen aber nie ersetzen, der einem anderen Menschen Aufmerksamkeit zukommen lässt.

Umso mehr man sich mit KI, Industrie 4.0, Automatisation und Robotik als Ingenieur auseinander setzt, umso weniger kann man erkennen, dass hierdurch Menschen überflüssig werden. Es gibt so viel zu tun…. Und es gibt so viel Bedarf an anderen Stellen unserer Gesellschaft.

Seit wann sind Historiker und Philosophen die Pessimisten und Ingenieure die Optimisten geworden?

Danke an Yuval Noah Harari für seine fantastischen Bücher mit solchen Anregungen!