Warum schreibe ich in einem Unternehmerblog über unser Rentensystem? Wurde hierzu nicht schon alles geschrieben und gesagt? Vielleicht deshalb, weil es wenige Entwicklungen gibt, die sich so genau vorhersagen lassen wie in der Demografie und sich deshalb zwangsläufig bei der Rente eines der größten gesellschaftlichen Probleme der heutigen Zeit entwickelt. Nun sind Unternehmer eigentlich von Berufs wegen zum Optimismus verdonnert – ohne eine positive Sicht der Zukunft kann man ein Unternehmen nicht führen. Dennoch ist es fatal, vor Problemen die Augen zu verschließen.

Es geht hier auch um eine grundsätzliche Einstellung zum Thema Schulden. Als Unternehmer wie als Privatmann mache ich Schulden, wenn ich eine Investition finanzieren möchte, die mir langfristig höhere Einnahmen verspricht, wie zum Beispiel eine Maschine oder eine Immobilie. Es kann sich auch um einen Unternehmenskauf handeln, wobei ich hier schon vorsichtiger bezüglich der Erwartung an zukünftige Einnahmen wäre. In der Politik wird mit Schulden eigentlich alles finanziert, so auch unsere Rente. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen gilt es in der Politik als größte Leistung, nicht noch weitere neue Schulden aufzunehmen. Jeder vernünftige Unternehmer würde hier Schulden zurück zahlen und sich auf härtere Zeiten vorbereiten, doch das ist noch ein anderes Thema.

Anfang des 20. Jahrhunderts kam ein findiger Amerikaner namens Charles Ponzi auf die Idee, mit neuen Schulden alte Schulden zu tilgen. Genauer gesagt nutze er die Einnahmen von neuen Anlegern, um „alten“ Anlegern und sich selbst wundersame Renditen für ihre Anlagen zu zahlen. Diese angeblichen „Renditen“ wurden jedoch nicht erwirtschaftet, sondern stammten zum überwiegenden Teil aus den Geldern der neuen Anleger. Bis zum heutigen Tag findet dieser Grundgedanke des „Schneeballeffektes“ viele Anhänger und wurde in Deutschland noch in den 90er Jahren mit sogenannten Kettenbriefen weit verbreitet. Ein trauriger, höchst „professioneller“ Höhepunkt dieses Betrugsschemas wurde von Bernard Madoff über fast 50 Jahre sehr erfolgreich in New York angewendet, bis diese Blase vor einigen Jahren platzte und er selbst in den USA zu einer Haftstrafe von in Summe 150 Jahren verurteilt wurde.

Was hat das jetzt mit unserer Rente zu tun?

Den Vergleich von unserer Rente zu dem oben beschriebenen „Schneeballsystem“ haben sowohl der britische Ökonom Charles Handy in seinem aktuellen Buch „The second curve“ wie auch der Zeit-Management-Pabst Lothar Seiwert in seinem Bestseller „Das neue Zeit-Alter“ herangezogen.
Die Rente in Deutschland wie auch in den meisten Industrie-Nationen basiert auf dem sogenannten Umlageverfahren. Eingezahlte Beiträge werden seit den 60er-Jahren unmittelbar wieder an die Berechtigten ausbezahlt. Mit andern Worten, mit den Rentenzahlungen werden also keine Ansprüche angespart, sondern die Verpflichtungen gegenüber den bisherigen Beitragszahlern erfüllt.

Dies entspricht von der Logik her exakt einem Schneeballsystem.

Es funktioniert so lange, wie es mehr Einzahler als Leistungsberechtigte gibt – idealerweise viel mehr. Es bricht automatisch in sich zusammen, wenn sich die Zahl der Leistungsberechtigten gegenüber den Einzahlern annähert. Genau dies wird mit Sicherheit in einigen Jahren der Fall sein…

Nun gibt es in Bezug auf Vorhersagen für unsere Zukunft neu eine einzige Sicherheit: die demografische Entwicklung einer Bevölkerung (solange man von Kriegen oder Epidemien absieht). Hierzu „braut“ sich besonders in Deutschland der „perfekte Sturm“ zusammen:

  1. Die Babyboomer der 50er- und 60er-Jahre gehen bald in Rente. 1964 war in Deutschland der geburtenstärkste Jahrgang aller Zeiten. Diese Menschen haben wesentlich zum heutigen Erfolg unseres Landes beigetragen und werden in 10 bis 20 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
  2. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt erfreulicher Weise immer weiter an. Im Jahr 2015 beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung neugeborener Jungen in Deutschland bereits fast 78 Jahre. Der Durchschnitt – darin sind alle Sterblichkeitsarten von der Totgeburt über Unfälle der Kindheit, Krebs etc. bereits enthalten. Mit anderen Worten: die Leser dieses Artikels haben gute Chancen, über 90 Jahre alt zu werden.
  3. Die Kosten für unser Gesundheitssystem steigen kontinuierlich, wobei ältere Menschen hier die meisten Kosten für Pflege und Krankheiten „verursachen“. Noch mehr ältere Menschen mit noch höheren Kosten pro Mensch für bessere Behandlungen und bessere Pflege bedeuten exponentiell steigende Gesundheitskosten. Nebenbei bemerkt sind unsere Systeme zur Pflege und Krankenversorgung schon heute chronisch unterfinanziert und die hier tätigen Menschen unterbezahlt. Wenn man diese Missstände verbessern möchte, müssen die Gesundheitskosten nochmals stärker ansteigen.

Diese drei Faktoren kommen unweigerlich auf uns zu. In der Kombination sorgen sie dafür, dass die Aufwendungen für unser Renten- und Gesundheitssystem nicht linear sondern exponentiell steigen werden. Jeder arbeitende Mensch hat in einigen Jahren mehr als einen Rentner inkl. aller weiteren Leistungen für unsere staatlichen Einrichtungen und das Gesundheitssystem zu versorgen. Dies ist schlicht unmöglich. Gleichzeitig wird die arbeitende Bevölkerung nur noch eine Minderheit der Wähler in Deutschland stellen….

Fazit: alle Bürger, die nach Mitte der 60er-Jahre in Deutschland geboren wurden werden im Alter nur noch mit einer Mindestabsicherung bei steigendem Renteneintrittsalter rechnen können. Diese Entwicklung ist unausweichlich. Wir sind alle Opfer eines gigantischen Schneeballsystems, zu dessen Aufbau und Finanzierung wir zwangsverpflichtet wurden.

Es wird sehr spannend, wie wir in Deutschland – ebenso wie viele andere westliche Nationen – in den kommenden Jahrzehnten mit diesem enormen politischen wie sozialen Sprengstoff umgehen werden.