Management by Objectives hat sich seit der Erfindung dieses Prinzips durch den Altmeister Peter Drucker vor mehr als 50 Jahren in der Wirtschaft durchgesetzt. Wir definieren mit unseren Mitarbeitern die zu erreichenden Ziele. Der Weg hierhin kann ebenso individuell wie unterschiedlich sein und den eigenen Stärken und Fähigkeiten entsprechen. Ein zutiefst menschlicher und anerkannt wirkungsvoller Führungsstil – und dennoch: Kann dieser Weg direkt dazu führen, dass wir das Leben gar nicht mehr erleben?
Als Unternehmer ist dies eine geradezu ketzerische Fragestellung und ich begebe mich hier auf sehr dünnes Eis – stelle ich doch gerade die Erfolgsgebote infrage, die ich selbst seit Jahrzehnten lebe und wonach ich strebe… Hoffentlich liest das jetzt keiner…
Für Kenner der Managementlehre hört es sich zunächst absurd an. Wir sprechen mit unseren Mitarbeitern über Ziele und Ergebnisse und bezahlen sie hierfür, wie auch unsere Kunden uns bezahlen. Der Mitarbeiter von morgen arbeitet nicht mehr für einen Stundenlohn, er wird nicht mehr nach Anwesenheit bezahlt, sondern für die Ergebnisse, die er erzielt und die Ziele, die er erreicht. Letztendlich bezahlt jeder Kunde das Unternehmen für seine Leistung in Form von Ergebnissen, unabhängig davon, wie das Unternehmen zu diesen Ergebnissen gelangt ist. Lean Management, also das Erreichen dieser Ergebnisse auf direktem Weg ohne Verschwendung ist daher das Gebot der Stunde.
Die Fokussierung auf das Ergebnis nimmt von unserem Leben immer mehr Besitz. Erfolgreiche Menschen erzielen in allen Lebensbereichen sichtbare Ergebnisse, sei es im Beruf (in Form von konkret erfüllten Zielvereinbarungen) wie im Privatleben. Die erreichte Marathonzeit, der erfolgreiche Schulabschluss der Kinder, das erbaute Eigenheim, das bessere Auto, die dritte Urlaubsreise… wir lernen in Büchern über Zeitmanagement, uns in allen Lebensbereichen Ziele zu setzen und diese mit Disziplin und Ausdauer Schritt für Schritt zu erreichen. Über unsere Ergebnisse definieren wir unseren Erfolg.
Wir reisen nicht mehr, sondern wir wollen schnell und effizient ankommen. Wir trinken abends keinen Wein, sondern wir wollen uns effizient und stilvoll entspannen. Wir unterhalten uns nicht mit unserem Gegenüber, sondern wir wollen bei ihm etwas erreichen. Wir arbeiten nicht mehr, sondern wir müssen Ergebnisse erzielen.
Dann leben wir letztendlich nicht mehr im Hier und Jetzt sondern ausgerichtet auf das Ergebnis, auf die Zukunft, auf das Ziel. Sobald wir dieses erreicht haben folgt das nächste Ziel, die neue Aufgabe, der nächste Schritt. Darüber vergessen wir, dass im Leben der Weg das Ziel ist -, dass das Leben der Weg ist und nicht das Ziel.
Unter der unendlichen Anzahl von Zeitmanagement-Beratern bedurfte es eines Heilpraktikers mit dem Namen Christopher Vasey um zu erkennen, dass „die Ausrichtung auf die Uhrzeit unglücklicherweise zur Folge hatte, dass es wichtiger wurde, etwas getan zu haben, als es zu tun“.
Der stetig zunehmende Druck im Beruflichen wie Privaten immer mehr zu erreichen, das nächste Ziel noch schneller und effizienter umzusetzen führt dazu, dass wir unser Leben manchmal gar nicht mehr wahrnehmen können. „Life is what happens while you are busy making other plans“. (John Lennon)
Mein Vorschlag? Hin und wieder zurücklehnen, um die Dinge aus der Distanz zu betrachten. Achtsamkeit ist das Gebot der Stunde. Das Tun und das Sein genießen, den Weg zum Ziel. Zu laufen, um zu laufen – im Laufen eins zu werden mit der Umgebung. Zu essen, um zu essen – mit allen Sinnen das Essen hier und jetzt genießen. Zu unterhalten, um zu unterhalten – und sich in den gemeinsamen Gedanken zu verlieren. Und zu arbeiten, um in der Tätigkeit, im Flow aufzugehen.
Natürlich gelingt es nicht immer, sondern eher selten – und doch erscheint es als der Weg, um das Leben nicht zu verpassen.
Bedeutet dies jetzt, dass wir als Unternehmer unsere Mitarbeiter nur noch für Tätigkeiten im Flow bezahlen sollten, egal was dabei heraus kommt? Kaum, denn für unsere Kunden spielt dies leider keine Rolle (oder wann haben Sie das letzte Mal für Ihre Brötchen mehr bezahlt, damit der Bäcker sich in der Tätigkeit des Backens verlieren konnte?).
Wir brauchen weiter Ziele und Strategien für das „Morgen“ – im Beruflichen wie im Privaten. Es ist ein Gegensatz wie so vieles im Leben – wir arbeiten am „Morgen“, versuchen dabei aber, das „Heute“ nicht zu vergessen.
Jens L. sagt:
Ein sehr schöner Artikel, der aus meiner Sicht den Nagel ziemlich gut auf den Kopf trifft. Ich denke sogar, dass das ständige Setzen und Abhaken von Zielen dazu führen kann, dass man sich ständig mit anderen vergleicht, sich ständig unter Druck fühlt, weil andere vielleicht bestimmte Ziele schneller erreicht haben, oder Ziele erreichen, die man selbst nicht erreichen wird. Es geht schnell darum, wer was erreicht hat und nicht mehr darum, was einem selbst im Leben eigentlich wichtig ist. Das kann einen auf Dauer nicht glücklich machen.
Ich denke aber trotzdem, dass es im Leben wichtig ist, Ziele zu haben, besser gesagt Träume zu haben. Es geht weniger darum, sich Ziele zu setzen („ich muss dass erreichen“), sondern eher darum einen (oder mehrere) Lebensträume zu haben („das würde ich gerne mal machen oder können“). Ich glaube, ein Lebenstraum ist ein großer Motivator im Leben.
Aber zurück aus dem Leben ins Arbeitsleben. Da leider niemand den Bäcker dafür bezahlt, dass er im Prozess des Brötchenbackens aufgeht, und niemand bereit sein wird, einen höheren Preis für ein Werkstück zu bezahlen, damit sich die Belegschaft in der liebevollen Herstellung des Werkstücks verwirklichen kann, bin ich gespannt, wie ein Familienunternehmer dieses Spannungsfeld auflöst.
P.S.: Interessanterweise wird uns genau die Liebe und Hingabe zur Arbeit, die in der Praxis all zu oft aus Effizienzgründen nicht umsetzbar ist, in der Werbung als das Ideal präsentiert. Niemand bewirbt die Produktion eines Liters Milch mit der Effizienz und Effektivität eines landwirtschaftlichen Massenbetriebes, eines industriell perfektionierten Molkereiprozesses oder eines ausgeklügelten Logistiksystems. Statt dessen wird die Milch mit idyllischen grünen Wiesen und im Vorgang des Weidens aufgehenden glücklichen Kühen präsentiert, mit liebevollen Bauern, die ihre Kühe noch per Hand melken, mit kuscheligen alten Bauernhöven und und und…
Aber bezahlen will dafür niemand…
1. April 2014 — 07:45
Andre Kuhn sagt:
Hallo Jens,
vielen Dank für den netten und sehr interessanten Kommentar. Auch aus vielen Mails erkenne ich, dass dieses Thema viele Menschen bewegt. Eine Lösung hat aber auch „der Familienunternehmer“ nicht hierfür…. Manche Wiedersprüche im Leben lassen sich wohl nicht auflösen sondern gehören zusammen wie Ying und Yang?
Ein netter Vergleich zur Werbung, dem ich nur voll zustimmen kann! Ich denke da auch an die Jack Daniels Werbung, wo genauso mit der unglaublichen Achtsamkeit im Herstellprozess geworben wird, während es sich doch um ein absolutes Massenprodukt handelt (zugegebener Maßen ein Leckeres ;-)).
1. April 2014 — 19:32