Unternehmensnachfolge

Unternehmensnachfolge … ein Thema, das für jeden Familienunternehmer irgendwann einmal eine hohe Bedeutung bekommt. Ende August durfte ich in meinem Unternehmen das offizielle 20. Jubiläum feiern und wurde hier durch einige extrem herzliche Aktionen unserer Mitarbeiter auf wunderbare Weise überrascht, wie ein Blick auf das Foto zeigt … Zeit einmal zurückzublicken zu meiner persönlichen Sicht der damaligen Unternehmensnachfolge, die von meinem Vater – wie so vieles in seinem Leben – völlig unkonventionell, anders und erfolgreich angegangen wurde. Auf einer abstrakten Ebene vielleicht auch ein Lehrstück für das, was wirklich wichtig ist: Werte, Menschen und klare Prioritäten anstelle von detaillierten Plänen und Methoden …

Jubilaeumsbild

26. August 1995: mein erster Arbeitstag im Unternehmen. „Herzlich willkommen – jetzt geht es endlich los!“ hatte mein Vater zu mir gesagt und mich in ein kleines Büro geführt. Die Organisation des ersten Tages wie des gesamten Einstiegs – inkl. meiner Rolle im Unternehmen – war mir selbst überlassen. Ich solle mich einfach erst einmal zurechtfinden. Am Ende des ersten Tages kam mein Vater dann mit seinem langjährigen Berater in mein Büro und fragte mich, wie es gelaufen wäre. Sein Berater schaute in einen Papierkorb, sah hierin etwas Müll und rief darauf aus: „Aha, er hat also schon gearbeitet!“
Was für ein Abstieg! Nach Turbostudium an der RWTH Aachen hatte ich die Aussicht auf eine Promotion in den Wind geschrieben, um in das väterliche Unternehmen einzusteigen. Ohne Titel, ohne Aufgabenbereich, ohne Funktion – einzig und allein mit der Aufgabe, mich einzuarbeiten, um irgendwann einmal das Unternehmen zu übernehmen. Nach dem quirligen Leben in Aachen – am Puls der Zeit unter vielen Freunden und mit den besten Aussichten – zurück ins ländliche Radevormwald in ein, mit damals etwa 110 Mitarbeitern, eher überschaubares Unternehmen, dessen Führungsriege außer zwei weiteren Führungskräften und mir nur aus Männern im gehobenen Alter bestand. Dabei lag mein Einstiegsgehalt deutlich unter dem, was ich mit meinem Abschluss an anderer Stelle bekommen hätte.
Dennoch brannte ich darauf, endlich zu arbeiten, endlich etwas Produktives zu tun und nach neun Semestern Studium in die Praxis zu starten! Ich wollte immer Unternehmer sein und hatte jetzt die Chance, ein Unternehmen zu übernehmen, dessen Technik, Organisation und Menschen mich begeistern konnten. Ich konnte nicht einmal den Monatswechsel abwarten, sondern wollte nach dem Umzug von Aachen nach Radevormwald sofort beginnen. Aber wie sollte dies nur funktionieren? Hier der junge, heißblütige Akademiker, voller Neugier und Tatendrang, mit viel Theorie, aber wenig Praxis – dort die beiden Brüder Klaus und Hans Kuhn als Senioren, Praktiker durch und durch, für die das Wort „Akademiker“ fast schon einer Beleidigung gleichkam.
Visionen, Ziele, Pläne, Maßnahmen – all diese Begriffe gab es damals im Wortschatz meines Vaters und meines Onkels nicht. Als ich einmal zaghaft meine Vision zum Ausdruck brachte, unser Unternehmen zum weltweit führenden Edelstahl-Schleudergießer zu entwickeln, meinte mein Vater dazu nur trocken, das könne ich mir dann ja mal übers Bett hängen. Dementsprechend gab es weder für meinen Einstieg noch für den Übergangsprozess einen Plan, ein festes Ziel, Meilensteine oder abgesprochene Termine – auf all das wollte mein Vater sich nie einlassen.
Doch nur drei Jahre später war die Übergabe erfolgreich vollzogen – zur Freude aller Beteiligten ohne größere Probleme, ohne Einschnitte und mit fortwährend positiver Unternehmensentwicklung. Wie konnte das passieren?
Werte, Prioritäten und Menschen …
Vertrauen: mein Vater und mein Onkel hatten mir zugesichert, die Übergabe so schnell wie möglich zu vollziehen. Darauf habe ich vertraut – auch ohne dass dies mit festen Daten hinterlegt war und ohne zu wissen, was „so schnell wie möglich“ denn genau bedeutet. Als mein Vater mir dann nach zwei Jahren die Hälfte seiner Anteile überschrieb und mich als 27-Jährigen neben ihm zum gleichberechtigten Partner in der Unternehmensführung machte, war dies der größte Vertrauensbeweis von seiner Seite, den man sich vorstellen konnte.
Klare Prioritäten: Die Firma kam in unseren Diskussionen an erster Stelle und es ging immer darum, was für die Firma das Beste in Unternehmensfragen ist, nicht für einen von uns persönlich. Darauf zielten alle Schritte der Übergabe ab.
Menschen: Von Anfang an fand ich im Unternehmen die „richtigen Menschen“ vor: Mitarbeiter und Führungskräfte, denen auch ich mein volles Vertrauen schenken konnte. Angefangen von meinem Onkel Hans Kuhn, der mit seiner ruhigen, überlegten Art zwischen den eher „heißblütigen“ Charakteren meines Vaters und mir vermitteln konnte, über unseren Senior-Vertriebsleiter Heinz Homburg, der von Anfang an genauso zu mir wie zu meinem Vater stand, bis hin zu unserem kaufmännischen Leiter Frank Lessing, dessen Einstellung zu unseren Mitarbeitern und Werten vollkommen zu meiner eigenen passte. Darüber hinaus kam auch ich in den Genuss einer sehr schönen Seite unserer Firmenkultur, die noch heute besteht: Neue Mitarbeiter werden bei uns an allen Stellen freudig empfangen und gerne aufgenommen!
Eine derart komplexe Angelegenheit wie die Unternehmensnachfolge kann schwer in wenigen Worten beschrieben werden – doch rückblickend möchte ich sagen, dass dies der Schlüssel für die mit Sicherheit erfolgreich verlaufende Übergabe unseres Unternehmens an die nächste Generation war. Danke an meinen (leider viel zu früh verstorbenen) Vater und meinen Onkel Hans Kuhn!
Und weiter?
Nachdem meine beiden Söhne überwiegend naturwissenschaftlich orientiert sind und der ältere von beiden sogar gerne wie ich Maschinenbau studieren möchte, bemerkten ein paar Freunde hierzu: „Da bist du doch sicher froh, wenn hier jemand in deine Fußstapfen tritt!“ So nett diese Aussage gemeint war, so sehr möchte ich ihr widersprechen. Mein Wunsch an meine Söhne ist es, dass sie ihren eigenen Weg gehen, sich selbst treu sind und sich die Tätigkeit im Leben suchen, mit der sie glücklich werden! Spätestens nach einer möglichen Übergabe des Unternehmens müssen sie ihre eigenen Wege gehen, denn nur der konstante Wandel ist in der Wirtschaft beständig – da gibt es keine „Fußstapfen“ mehr, denen man folgen kann. Wenn für meine Söhne die Führung unseres Unternehmens ihr eigenes Glück bedeuten könnte, wäre das schön. Die Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie ist für mich als Familienunternehmer jedoch zweitrangig im Vergleich zum Lebensglück meiner Söhne. Jeder Weg, den meine Söhne mit ihren Werten, Einstellungen und Talenten glücklich macht, wird der richtige sein. Ich bin im Übrigen der Überzeugung, dass dies auch die Einstellung meines Vaters war – und eine wesntliche Voraussetzung für eine mögliche und erfolgreiche Unternehmensübergabe an die nächste Generation ist.

Foto: Kuhn Edelstahl