In diesen Blog geht es um Einsichten und Ansichten eines Familienunternehmers. Doch Unternehmer gibt es überall. Ein Besuch und Abendessen mit einem leidenschaftlichen Unternehmer in Shanghai zeigen die interessante Perspektive eines Mannes, der mit vollem Einsatz Geschäftsführer wie auch ranghohes Mitglied der kommunistischen Partei ist. Faszinierende Ansichten aus einer anderen Perspektive, die einmal wieder beweisen, dass wir die Welt nur so sehen können, wie wir unsere Informationen hierüber erhalten und wie unsere Umwelt darüber denkt – man sollte daher auch seine eigene Sichtweise öfters infrage stellen.
Herr Qu ist ein international erfahrener und viel gereister General Manager eines mittelständischen Unternehmens in Schanghai, ca. 50 Jahre alt, seit mehr als 20 Jahren im Unternehmen tätig und sein Leben lang Mitglied der kommunistischen Partei, wo er ebenfalls eine Führungsrolle hat. Nachdem wir schon einige Kontakte und Treffen hatten, wurde das Gespräch beim Abendessen sehr offen – übrigens ohne einen einzigen Tropfen Alkohol, da Herr Qu mit dem eigenen Auto ohne Fahrer gekommen war.
Obwohl in Schanghai lebend, war Herr Qu seit drei Jahren nicht mehr am Bund, um die abendliche Veränderung des Städtebildes zu bewundern – er kennt nur sein Unternehmen von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends mit häufigen Einsätzen am Wochenende, wenn dies die Auftragslage erforderlich macht. Mit dieser Einstellung wird er von seinen Mitarbeitern bewundert und hat sein Unternehmen an die Spitze seiner Branche in China geführt – jetzt macht er sich daran, den internationalen Markt weltweit anzugehen. Es sind Menschen wie diese, die China zu dem machen, was es heute ist. Das Erstaunliche ist für mich dabei die ungeheure Weltoffenheit, der internationale Überblick und die sehr gute Kenntnis anderer Kulturen – jedoch mit ganz anderen Schlussfolgerungen, die hieraus gezogen werden und die andere Einblicke in die sehr langfristig orientierte chinesische Politik geben.
„China muss seinen eigenen Weg in Richtung Freiheit und Demokratie gehen. Ein zu schneller Schritt, wie von dem Westen gewollt, wäre tödlich für das Land, es würde auseinanderfallen und im Chaos versinken. Wir helfen allen Provinzen, am Fortschritt teilzuhaben, und investieren massiv in die Infrastruktur, die medizinische Versorgung, die Schulbildung, die Sicherung der Grundernährung bis hin zur Wahrung der sicherheitspolitischen Interessen gegenüber anderen Ländern.“ Hier kommt ein wenig die konfuzianische „Vater-Sohn-Einstellung“ zum Vorschein, die eine gewisse Bevormundung durch das „Vaterland China“ besonders bei den Provinzen Tibet, Mongolei oder Taiwan (wenn man Taiwan denn als Provinz bezeichnen möchte) beinhaltet.
„Wir erlauben den Menschen von Jahr zu Jahr mehr Freiheiten im Internet, bei der Meinungsäußerung und sogar in der Politik“, fährt er fort. „China konnte und kann aber nur im Einparteiensystem weiterwachsen und den Wohlstand für alle 1,3 Milliarden Menschen heben. Länder wie Indien zeigen anschaulich, dass große Projekte und Entscheidungen in einem Mehrparteiensystem nicht durchsetzbar sind und viel zu lange dauern. In China denkt die Führung langfristig über Jahrzehnte da sie weiß, dass sie dann auch noch an der Macht sein wird und die Folgen zu verantworten hat. Kaum ein westlicher Politiker denkt so. Nur in einem System wie China können die führenden politischen Köpfe über Jahrzehnte auf Führungspositionen systematisch vorbereitet und ausgebildet werden. Wir haben die international am besten gebildeten und erfahrensten Spitzenkräfte in unserer Politik,und wir brauchen sie auch.
Die westlichen Länder – allen voran die USA – wollen China ihre Denkweise und ihr Demokratiemodell aufzwingen, ohne zu wissen, was dies für dieses Land bedeuten würde. Die Geschichte Chinas der letzten Jahrzehnte zeigt dabei doch eindeutig, dass es erstmalig in der Menschheitsgeschichte geschafft wurde, so viele Menschen so schnell über die Armutsgrenze zu heben. Natürlich gibt es nach wie vor sehr große Probleme in China – eines der wichtigsten ist die Umweltverschmutzung – aber auch hier ist nur unser Einparteiensystem in der Lage, diese wirksam anzugehen.“
In jedem Satz schwingt ein ungeheurer Stolz auf das Land und dessen Entwicklung mit. Dieser Stolz in Verbindung mit der Sehnsucht nach Anerkennung besonders durch den Westen ist es, was einen Unternehmer wie Herr Qu in erster Linie antreibt. Dies verbindet ihn mit einem großen Teil der chinesischen Bevölkerung. Eher untypisch ist jedoch, dass er dabei weniger nach persönlichem Reichtum strebt sondern sogar eher bescheiden auftritt.
Fast schon peinlich ist der enorme Wert, der von ihm – wie von vielen Chinesen – deutschen Produkten zugemessen wird. Komponenten aus Deutschland in chinesischen Maschinen heben diese auf internationales Niveau. Deutscher Maschinenbau und deutsche Technik steht für die Spitze des Machbaren und man verbindet hiermit im höchsten Maß Zuverlässigkeit, Werthaltigkeit und Vertrauen. In erster Linie profitiert hiervon die deutsche Automobilindustrie, das wird von vielen Chinesen aber auf alles übertragen, was aus Deutschland kommt.
Mit seiner brennenden Motivation wird Herr Qu noch einen weiten Weg gehen können und ich bin sicher, dass sein Unternehmen in wenigen Jahren auch auf der Weltbühne eine ernsthafte Rolle spielt. Die etablierten Wettbewerber können sich darauf einstellen, dass nicht nur chinesische Konzerne, sondern auch Mittelständler hier in Zukunft Marktanteile erobern werden, wenn es viele Unternehmer wie Herr Qu in China gibt.
Jens L. sagt:
Ich finde die Sichtweise des Herrn Qu sehr interessant, und der Author hat sicherlich recht, dass man das Thema Demokratie und Freiheit in China sicherlich auch mal aus der Perspektive der Chinesen selbst betrachten sollte. Was mir durchaus einleuchtet ist, dass eine Demokratisierung nicht zu plötzlich geschehen sollte, da dies ein Riesenreich wie China auseinanderreißen könnte. Jedoch habe ich den Eindruck, dass es in China nicht nur an Demokratie fehlt, sondern vor allem an Rechtstaatlichkeit. Es mag sein, dass ein so großes und schnell wachsendes Land Zeit braucht, demokratische Strukturen zu entwickeln, und das ist vielleicht auch gut so. Es mag auch sein, dass man zur Zeit noch nicht jeden Chinesen an großen und richtungsweisenden Entscheidungen teilhaben lassen kann. Diese Konzepte sind ja auch in unserer demokratisierten Welt nicht unüblich, dass z.B. Entscheidungen von einer gewählten Regierung durchgesetzt werden, auch wenn sie der Bevölkerung gerade nicht passen. Ohne das funktioniert wohl kaum noch was.
Es scheinen mir aber die chinesischen Staats- und Machtstrukturen zur Zeit so aufgebaut zu sein, dass es nicht nur wenig oder keine Demokratie gibt, sondern vor allem keine Rechtsstaatlichkeit und daher Willkür, vor allem gegenüber „dem kleinen Mann“. Diese Willkür paart sich mit einer weit verbreiteten Korruption, die ja anscheinend auch der chinesischen Führung zur Zeit ein Dorn im Auge ist. Man liest über Umweltkatastrophen, die vertuscht werden, über die unteren Bevölkerungsschichten, die geschädigt, aber niemals entschädigt werden, etc.
Ein funktionierender Staat, selbst wenn er ein Einparteienstaat ist, sollte trotzdem auf Recht und Gesetz, und vor allem darauf beruhen, dass jeder Bürger sein Recht einklagen kann und auch bekommt.
Ich kann die Sichtweise von Hr. Qu zur Demokratie in China also verstehen und nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht selbst teilen muss. Was ich jedoch nicht verstehen könnte, wäre eine Sichtweise, bei der auch die rechtstaatlichkeit dem „Volke“ erst Stückchen für Stückchen gegeben wird.
Es wäre interessant, zu wissen, ob sich Her Qu auch zum Thema Rechtstaatlichkeit geäußert hat.
Zum Thema, ob nur ein Einparteienstaat große Probleme lösen kann, kann man natürlich auch geteilter Meinung sein. Herr Qu nennt als Beispiel die Umweltproblematik in China. Diese ist sicherlich sehr extrem und durch die Führung inzwischen auch erkannt worden.
Aber auch Deutschland hatte in den 1970er Jahren recht extreme Umweltprobleme (man denke an das Waldsterben, ca. 50% aller Müllkippen waren 1975 illegal, etc.). Deutschland hat trotzdem seine Umweltprobleme ziemlich gut in den Griff bekommen, und zwar größtenteils auf Druck der Bevölkerung, die plötzlich nicht mehr die alten Parteien gewählt hat, sondern neue, oder den alten Parteien klargemacht hat, wo es langgeht. Unsere rechtsstaatlichen Strukturen haben dabei geholfen, einige Umweltsünder in die Knie bzw. zum Nachgeben zu zwingen.
Heute gilt Deutschland als eines der Länder mit den höchsten Umweltstandarts, der besten Umwelttechnologie und hat völlig neue Wirtschaftszweige in der Umwelttechnik erschlossen, alles auf Basis einer funktionierenden Demokratie (die 1989 von 20 Millionen Deutschen auch erstmal erlernt werden musste).
Großprojekte gehen also auch mit demokratischen Strukturen.
Es ist trotzdem interessant, die Dinge mal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Nach der Wende waren wir ja auch die „Besserwessis“…
21. Mai 2013 — 20:06