Schweden ist ein sehr interessantes Land – nicht nur als Urlaubsziel, sondern auch die dortige Wirtschaft und die Staatsfinanzen zeigten sich bis dato in der Wirtschaftskrise als erstaunlich robust. Da fast alle Schweden hervorragend Englisch oder sogar Deutsch sprechen, konnten wir bei unserer letzten Geschäftsreise gute Einblicke in die dortigen Verhältnisse erhalten – und für Deutschland ein wenig lernen …
Schweden wurde bereits vor 20 Jahren von einer Krise gepackt und hat damals Reformen eingeleitet, die dazu führten, dass der öffentliche Schuldenstand heute bei unter 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt (die europäischen Länder liegen im Vergleich bei 100 Prozent, Griechenland bei mehr als 150 Prozent). Viele Weltmarktführer sind in Schweden zu finden, wie das Magazin „brand eins“ in seiner Ausgabe vom Juni 2013 berichtet (S. 32 ff.). Insgesamt geht es dem Land also gut – im europäischen Vergleich sogar sehr gut.
Dennoch liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden bei erstaunlich hohen 25 Prozent. Woran liegt das?
Das Abendessen mit unseren sehr netten, korrekten, offenen und ehrlichen – eben typisch schwedischen – Geschäftspartnern gab hier sehr interessante Einblicke.
Schweden ist ein sehr soziales und konsensorientiertes Land. Schon früh hat man hier flächendeckende Mindestlöhne eingeführt. Der Gedanke dahinter ist ehrbar – die Arbeit jedes Menschen verdient Anerkennung und Wertschätzung. Kein Mensch ist mehr wert als ein anderer Mensch, also darf jeder auch für die Entlohnung seiner Arbeit ein Mindestmaß an Entgelt verlangen – dies wurde per Gesetz festgeschrieben. Arbeit muss einen gewissen Mindest-Lebensstandard ermöglichen. Heute liegt das Mindestgehalt bei ca. 2000 Euro pro Monat.
Auf der anderen Seite gibt es kein betriebliches Ausbildungssystem wie in Deutschland. Junge Menschen können studieren – oder nach der Schule arbeiten gehen. Bei ungelernten Kräften muss ein Unternehmen natürlich zunächst massiv in ihre Ausbildung investieren. Aufgrund des gesetzlichen Mindestlohns erhalten aber selbst Praktikanten ein gesetzlich garantiertes Entgelt.
Die Folge? Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, bei jungen Leuten gleichzeitig in deren Ausbildung zu investieren und dabei einen monatlichen Mindestlohn von 2000 Euro zu zahlen. Also finden junge Menschen ohne einen guten Studienabschluss kaum eine Arbeitsstelle – und wenn, dann in Dienstleistungsbranchen wie der Gastronomie, die nur eine geringe Ausbildung erfordern.
Dienstleistungen sind daher in Schweden extrem teuer. Ein Abendessen findet sich selten unter 20 Euro pro Person und liegt gerne auch bei 50 Euro, eine Hotelübernachtung kostet in den günstigsten 2-Sterne-Hotels kaum unter 100 Euro pro Nacht. Um die Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen, hat daher die Regierung beschlossen, den Mehrwertsteuersatz von 25Prozent seit Anfang 2013 auf die Hälfte für Speisen und Getränke zu reduzieren. Die Wirkung ist jedoch ausgeblieben – auch für 18 anstelle von 20 Euro pro Person kommen nicht viel mehr Gäste, während die Kosten für die Angestellten weiterhin nahezu unbezahlbar bleiben.
Der Mindestlohn ist auch in Deutschland ein heiß umkämpftes Thema. Sicher gibt es viele gute Gründe für die Einführung in manchen Branchen und es gibt Bereiche, wo die Bezahlung gerade im Dienstleistungsgewerbe, z.B. dem Friseurhandwerk, in Deutschland unfassbar gering ist. Eine flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen schadet aber immer den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft – den Menschen, die bei geringem Lohn immer noch die Chance auf eine Arbeitsstelle haben. Oft ist dies der Start einer neuen oder ersten Chance im Berufsleben. Es sind nicht die „Ausbeuter von Arbeitgebern“, die dies von den Mitarbeitern verlangen, sondern es ist der Markt, die Kunden und damit jeder Mensch wie du und ich, der für manche Dienstleistungen nur gewisse Summen bereit ist zu zahlen und bei einem zu teuren Angebot seltener ein Restaurant besucht, zum Friseur geht oder auch eine Putzhilfe beschäftigt.
Das soziale Schweden zeigt eindringlich, wohin der Weg führen kann, wenn es die Politik „zu gut“ mit den Menschen meint. Auf der anderen Seite bestätigt sich einmal wieder, was für ein toller Wettbewerbsvorteil das deutsche Ausbildungssystem ist – für jeden Einzelnen wie für unsere Volkswirtschaft insgesamt.
Harald Schwab sagt:
2000Euro sind ja auch nicht gerade wenig, bei ca.150 oder 160 Std. im Monat. Das wären 13Euro in der Std. In Deutschland redet man von 8,50 so viel ich weiß das ist doch schon ein großer Unterschied und meiner Meinung auch bezahlbar.
14. Juni 2013 — 18:49
Guido Gothenburg sagt:
Das Ganze ist doch sehr überwiegend aus deutscher Sicht betrachtet. Für einen Deutschen ist ein gutes Abendessen von über 20€ teuer, weil für ihn in Deutschland Menschen für unter 7€/h arbeiten. Der Deutsche selbst verdient eben auch nicht so viel. Verdiene ich hingegen mindestens(!) 2000€ im Monat, dann ist das Abendessen doch ohne weiteres und ohne sich großartig zu wundern möglich. Sicher, in Deutschland wäre es billiger. Aber auch sicher: Die deutsche Friseurin, die für 4€ arbeitet wird sich auch in Deutschland so leicht keinen schönen Restaurantbesuch leisten können.
Der Mindestlohn taugt als Erklärung für Jugendarbeitslosigtkeit nicht viel. Das Funktionieren (und Vorhandensein) des Ausbildungssystems sicherlich mehr.
3. Juli 2013 — 22:26
Andre Kuhn sagt:
Vielen Danke für die Kommentare von Hr. Gothenburg und Hr. Schwab! Ich freue mich über unterschiedliche Sichtweisen! Ich versuche die Ansichten aus meiner Perspektive eines deutschen Unternehmers wiederzugeben – zwangsweise subjektiv und auch so gewollt. Die Meinung zur Auswirkung des Mindestlohns auf die Jugendarbeitslosigkeit stammt allerdings von einem schwedischen Unternehmer. Ich bin kein Volkswirtschaftler und habe auch wenig Einblicke in ostdeutsche Verhältnisse oder die Dienstleistungsbranche, möchte mir hier auch kein Urteil anmaßen. Ich kann daher nur aus Unternehmersicht sagen, dass ein Mitarbeiter das Geld verdienen muss, was er verdient – sonst macht das Unternehmen Verluste und verschwindet vom Markt. In junge Menschen muss ein Unternehmen investieren, da sie noch lernen und zu Beginn nur geringe Leistung erbringen können. Je höher der Verdienst eines ungelernten Mitarbeiter sein muss desto größer ist die Hürde, in seine Ausbildung zu investieren.
Man merkt – der Mindestlohn ist ein Thema, was uns in Deutschland zurzeit besonders bewegt.
4. Juli 2013 — 05:29
Paul F. sagt:
Aber wenn es in Schweden kein geregeltes Ausbildungssystem gibt, herrscht dann dort ein Fachkräftemangel? Viele Berufe kann man doch gar nicht studieren. Wenn sich viele Unternehmen aber gar nicht leisten können, jemanden wegen des hohen Mindestlohns einzulernen, wo bekommen sie dann Nachwuchs her?
14. Januar 2014 — 13:53
Andre Kuhn sagt:
Sehr geehrter Paul F.,
ja, aus deutscher Sicht ist es erstaunlich, dass unsere Berufsausbildung fast einmalig auf der Welt ist. In fast allen anderen Ländern wie auch in Schweden können Mitarbeiter nur angelernt werden oder eine Art „Berufsschule“ besuchen, in der sie rein theoretisch auf Berufsinhalte vorbereitet werden. Daher kommt der große „run“ auf die Bachelor-Studiengänge in sehr vielen Ländern, da man eigentlich nur die Wahl hat, eine angelernte Kraft zu werden oder studieren zu gehen. Einige Großunternehmen helfen sich selbst, indem sie neuen, jungen Mitarbeitern eine intensive Einarbeitung inkl. theoretischen Unterrricht über einige Monate geben. Insofern kann man in Schweden wie in vielen Ländern von einem „Fachkräftemangel“ sprechen, allerdings kennt man hier unser deutsches Verständnis von „Fachkräften“ auch nicht.
15. Januar 2014 — 16:54
Sandra sagt:
Sind die Studiengänge dort dann auch begrenzt oder einfach nur überfüllt? Das ist natürlich schade wenn es nicht genug Möglichkeiten für die Jugend dort gibt. Wer sich kein Studium leisten kann oder keinen Platz mehr bekommt, muss sich dann mit einem Job zufrieden geben. Habe nie darüber nachgedacht, aber das Ausbildungssystem in Deutschland ist dann ja wirklich sehr gut. Manche wollen nach der Schule einfach nicht mehr lernen oder müssen Geld verdienen, da ist eine Ausbildung doch eine gute Alternative.
20. Januar 2014 — 11:10
Andre Kuhn sagt:
Zur Studienplatzsituation in Schweden kann ich nichts sagen aber es stimmt völlig: das Ausbildungssystem in Deutschland ist eine echt tolle Sache für alle Beteiligten! Was würden wir ohne unsere vielen Fachkräfte nur tun – und so vielen jungen Menschen wird hier eine Grundlage für das Leben geboten, die dazu noch fast beliebig ausbaufähig ist.
20. Januar 2014 — 13:16